Sitzt ein Paar mit Talent zur temperamentvollen Auseinandersetzung im Restaurant. Da fällt dem Ober das Tablett mit dem Geschirr aus der Hand. Laut klirren die Scherben. Sagt sie zu ihm: „Hörst du, sie spielen unser Lied!“
Unser Lied. Vielleicht haben Sie auch eins. Eins, das aber gut klingt und nicht nach Tassen und Tellern, die auf dem Boden zerschellen. Ist es nicht so: im Lied holen wir Geschichte auf Wiedervorlage. Und zur Geschichte gehören die Geschichten. Die schönsten sind Liebesgeschichten. Darum kommt übrigens auch die größte Liebesgeschichte aller Zeiten nicht ohne Lieder aus. Sie ist die Geschichte, die Gott mit seinen Menschen hat. Und so stimmen auch die Kirchen immer wieder Lieder an. Deren Gesangbücher enthalten Klagelieder, Loblieder, Danklieder. Das ganze Leben findet sich in diesen Liedern. Teilweise sind sie sehr alt. Aber wenn sie gesungen werden, können sie noch immer frisch und neu wirken. Etwa der Choral „Lobe den Herren, den mächtigen König der Ehren“. Noch immer geht mir singend das Herz auf, wenn ich „den Herren“ lobe, weil er mir „Gesundheit verliehen“ und mich „freundlich geleitet“ hat. Unser Lied – das kann eben auch ein Kirchenlied sein, das zur Erkennungsmelodie für Gott und Mensch wird.
Aber auch anderswo gibt es das, nämlich „unser Lied“. Zum Beispiel als Fan-Gesang. Im Borussia-Park wird er mit schöner Regelmäßigkeit angestimmt. Wie ich in dieser Zeitung las, erhebt jetzt das Museum Abteiberg Stadiongesänge sogar in den Rang der Kunst. Bis zum 23. Februar werde unter der Überschrift „Hymnus (Nordkurve)“ ein Projekt von Ari Benjamin Meyers präsentiert. Welcher Gesang wird dort als unser Lied künstlerisch umgesetzt? Vielleicht Olé, olé, olé, olé, Mönchengladbach olé, Mönchengladbach olé ? Zwei Wörter, eine schlichte Melodie – das nenne man bitte nicht unterkomplex. Das ist barrierefrei. Da geht es um Partizipation. Da fühlt man sich abgeholt. Das ist inklusiv. Also zeitgemäß. Mindestens ein Stück weit. Ich werde mal im Museum vorbeischauen.
Schon wegen des Versprechens im Ankündigungstext. Der Künstler, so las ich da, der Künstler hinterfrage mit seiner Arbeit Hierarchien und soziale Ungleichheiten und appelliere zugleich an eine Kraft des Gemeinsamen. Das kenne ich. Nämlich vom gemeinsamen Gesang im Gottesdienst. Und es spielt keine Rolle, falls er mehr ein Detonieren als ein Intonieren sein sollte. Ich freue mich aufs gemeinsame Singen am Sonntag. Vielleicht machen auch Sie sich auf den Weg zum Gottesdienst. Es geht ja um unser Lied. Dann können einzelne Tassen auf dem Tablett verbleiben. Und alle Tassen im Schrank sowieso.
Werner Beuschel, Pfarrer der Evangelischen Christuskirchengemeinde Mönchengladbach
Der Text ist ein von der Rheinischen Post (Lokalredaktion Mönchengladbach) für den 24.01.2025 erbetener Denkanstoß.