Er wäre in diesen Tagen hundert geworden: Loriot, mein Humorheld seit Jugendtagen. Was ich erst jetzt merke: Loriot müsste nicht bloß ein Humorist genannt werden. Sondern überdies auch ein Prophet.
Doch der Reihe nach. Noch immer genial finde ich die Sendung „Weihnachten bei Hoppenstedts“. Loriot spielt in den kurzen Episoden Opa Hoppenstedt, neben ihm ist unter anderem Dickie Hoppenstedt zu sehen, sein frühpubertäres Enkelkind. Es ist etwas pummelig. Nein, ich möchte es anders sagen: Dickie ist gewichtsbegabt.
Ort des Geschehens einer Episode ist ein Spielzeugladen. Opa sucht fürs Kind ein Geschenk, die Verkäuferin will beraten. Dazu möchte sie das Geschlecht des Enkelkindes wissen. Opa Hoppenstedt scheint die Frage nicht richtig zu verstehen, also wird die Verkäuferin konkret: ob das Kind denn ein Zipfelchen habe. Darauf Opa Hoppenstedt entschieden: „Mein Enkelkind hat alles, was es braucht! Gesunde Eltern, ein anständiges Zuhause und Zucht und Ordnung.“
Sensationell. So ein Satz gehört heute in die Fibel jedes Genderbeauftragten. Beziehungsweise jeder Genderbeauftragten. Und vor allem jedenden Genderbeauftragten. Mehr geschlechtergerechte Sprache geht doch nicht, oder? „Hat das Kind ein Zipfelchen?“ „Mein Enkelkind hat alles, was es braucht!“
Und dann die durchgängige Selbstverständlichkeit, mit der das Kind Dickie genannt wird. Gut, auf die erste Frage, wie denn das Kind heiße, sagt der Opa: „Hoppenstedt. Wir heißen alle Hoppenstedt.“ Aber auf die zweite Frage nach dem Vornamen kommt wie selbstredend die Antwort: „Dickie. Dickie Hoppenstedt.“
Das ist doch Body-Positivity vom Feinsten. Wohlgemerkt: die Loriot-Sendung stammt aus dem Jahr 1978. Und erst heute ist das so richtig ein Thema: weg mit diskriminierenden Schönheitsidealen, auch Übergewicht ist normal.
Loriot, der verkappte Prophet? Seltsam nur: als ich erstmals die Sendung sah, habe ich viel gelacht. Darf man heute noch lachen? Natürlich nicht. Man muss es tun. Aber ich würde dazu in den Keller gehen. Es ist vielleicht bekömmlicher.
Was soll man dazu sagen, wenn Humoristen zu Propheten werden? Ich kann eher etwas zu Propheten sagen, die zu Propheten werden. Zum Beispiel Jesaja, der von einem Volk redet, das im Dunkel lebt und ein helles Licht sieht. Denn, so Jesaja, „uns ist ein Kind geboren, ein Sohn ist uns gegeben, und die Herrschaft ist auf seiner Schulter“.
Für die Christenheit ist diese Prophetie mit Jesus Christus erfüllt. Und besonders in der anstehenden Advents- und Weihnachtszeit soll alle Welt wissen, was ein Gesangbuchlied so formuliert: „Was der alten Väter Schar höchster Wunsch und Sehnen war und was sie geprophezeit, ist erfüllt in Herrlichkeit.“
Werner Beuschel
Der Text ist ein von der Rheinischen Post (Lokalredaktion Mönchengladbach) für den 10.11.2023 erbetener Denkanstoß.