Es ist eine versteckte Stelle und die Gäste aus Gladbach finden sie nur mit Unterstützung eines freundlichen Augsburgers, der ihnen zweimal zur Hilfe kommt, als sie etwas ratlos an der Stadtmauer stehen. Hinter einer kleinen Kapelle aus dem 11. Jahrhundert schlängelt sich der Weg weiter und führt dann an der Mauer vorbei ins Tal. Hier soll Martin Luther in der Nacht zum 21. Oktober 1518 heimlich Augsburg verlassen haben, nachdem er sich beim Verhör durch Kardinal Cajetan geweigert hatte, seine Thesen zu widerrufen. Er war nicht mehr sicher und verließ die Stadt, bevor es die Gesandten Roms bemerkten. Heute vermeldet eine kleine Metalltafel die erfolgreiche Flucht.
In ganz Augsburg finden sich Spuren des Reformators: am Fuggerpalais, wo das Verhör stattfand oder im ehemaligen Kloster St. Anna, wo er übernachtete. Noch ein bedeutendes Ereignis der Reformation ist in Augsburg verortet: 1530 legten die lutherischen Reichsstände beim Reichstag dem Kaiser ihr Bekenntnis vor, die Confessio Augustana oder das Augsburger Bekenntnis. Es gehört noch heute zu den verbindlichen Bekenntnisschriften der lutherischen Kirchen, in der Variata-Form von 1540 auch der reformierten Kirchen. Und weil Augsburg eine so bedeutende geschichtliche Rolle spielte, wurde hier am 31. Oktober 1999 auch die gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre vom Päpstlichen Rat zur Förderung der Einheit der Christen und dem Lutherischen Weltbund unterzeichnet.
Aber die Mönchengladbacher Ökumenegruppe war nicht nur aus historischem Interesse in Augsburg. Es standen auch Besuche bei der evangelischen Ulrichsgemeinde und der katholischen Cityseelsorge von St. Moritz auf dem Programm. In der Ulrichsgemeinde gehören ökumenische Aktivitäten schon deshalb praktisch zur DNA, weil ihre Kirche zu einem ökumenischen Ensemble gehört. Sie grenzt Wand an Wand an die deutlich größere Basilka St.Ulrich und Afra, denn sie war vor Jahrhunderten die Eingangshalle zur Basilika. Die räumliche Nähe unterstützt das Miteinander. Neben ökumenischen Bibelgesprächen, Gottesdiensten und Abendgebeten gibt es auch einen ökumenischen Kinderchor, dessen Auftritte zu Weihnachten abwechselnd in der katholischen und der evangelischen Kirche erfolgen.
Augsburg hat viele reichgeschmückte Barockkirchen, zu denen überraschenderweise auch etliche evangelische gehören. Die Citykirche St. Moritz jedoch wurde aller barocken Merkmale entkleidet und vom Londoner Architekten John Pawson zu einem Raum umgebaut, der durch sich durch eine ganz besondere, spirituelle Atmosphäre auszeichnet, obwohl oder gerade weil auf jeden Schmuck verzichtet wird. Mit dünnen, weißen Onyxscheiben verkleidete Fenster brechen das Licht. Nur die Figur eines Christus Salvator zieht die Blicke auf sich. Minimalismus, der eine beeindruckende Wirkung entfaltet und St. Moritz zu einer der spirituell berührendsten Kirchen überhaupt macht.
Angela Rietdorf