„Wer ist schuld?“. „Wolpers ist schuld!“ Diesen Wortwechsel gab es regelmäßig zwischen Harald Schmidt und Herbert Feuerstein bei Schmidteinander, eine Sendung mit Kultstatus im WDR-Fernsehen. Die Älteren erinnern sich. Nach dem Wortwechsel sprangen Schmidt und Feuerstein von ihren Plätzen auf und – Schnitt! – stürmten hinter die Kulissen schnurstracks auf einen jungen Kerl zu, schubsten ihn um und traten auf ihn ein. Egal, was in der Sendung daneben ging: die studentische Hilfskraft namens Wolpers war immer schuld.
Wem jetzt die Tasse mit gewaltfrei gepflücktem Jasmin-Tee vor Schreck oder Empörung aus der Hand fällt: die Szene war natürlich nur gespielt. Wolpers wurde nie ein Haar gekrümmt. Aber der ganze Auftritt war einfach so absurd und irrwitzig, dass ich mich an ihn bis heute erinnern kann. „Wer ist schuld?“. „Wolpers ist schuld!“
Wolpers habe ich schon ewig nicht mehr gesehen. Und kein Schmidt und kein Feuerstein weit und breit, die ihn belangen. Aber die Frage ist noch immer hochaktuell: „Wer ist schuld?“
Kolumnen-Leser M.S. hat mir einen Text aus den sozialen Medien zugespielt, „Verfasser unbekannt“. Die Eingangszeile lautet so: „Wir sind in einer Welt eingeschlafen und in einer anderen wieder aufgewacht.“ Und es folgt in poetischer Form eine Zustandsbeschreibung, die ganz prosaisch auf das gegenwärtig verordnete Social Distancing zurückzuführen ist, also dass genug Raum zwischen den Menschen sei, um Ansteckung zu vermeiden. „Umarmungen und Küsse werden plötzlich zu Waffen“, diagnostiziert der unbekannte Verfasser, um zur Erkenntnis zu kommen: „Plötzlich wird einem klar, dass Macht, Schönheit und Geld wertlos sind und einem nicht den Sauerstoff verschaffen können, für den man kämpft.“
Das Fazit legt der Texter einem anderen in den Mund. Dem Schöpfer? Dem Erlöser? Dem Universum? Das bleibt offen. „Ihr seid nicht notwendig. Die Luft, die Erde, das Wasser und der Himmel sind ohne euch in Ordnung. Wenn ihr zurückkommt, denkt daran, dass ihr meine Gäste seid, nicht meine Herren.“
Wer ist schuld? Angesichts der aktuellen Misere stellt der unbekannte Verfasser die Frage in einen größeren Rahmen. Es geht weniger um Herkunft und Verbreitung des Virus. Es geht um ein größeres Ganzes: um den Lebensstil und um die Frage, was wirklich von Wert ist unser Lebtag lang. Macht, Schönheit und Geld, so lehrt die Krise, sind bislang zu hoch gehandelt. Die Folge: die Elemente leiden. Luft, Erde, Wasser und Himmel sind nicht die, die sie sein könnten.
Wer ist schuld? Wolpers ist schuld. Und Schmidt und Feuerstein. Übrigens auch der unbekannte Verfasser. Und nicht minder diejenigen, die mir nachdenkliche Texte schicken. Leserin S.H. meint, in Sachen Herzensbildung „dürfte viel mehr publiziert werden, damit sich mehr Menschen darüber Gedanken machen.“ Ich will keinem zu nahe treten. Jeder meint es ja nur gut, wenn er zu benennen sucht, wo und wie etwas im Argen liegt. Und wie das zu verbessern wäre. Aber irgendwie hängt ja auch jeder selbst mit drin. Ich selber bin übrigens auch schuld.
„Sie sind allesamt Sünder und ermangeln des Ruhmes, den sie bei Gott haben sollten“, schreibt der Apostel Paulus an die Gemeinde in Rom (Röm 3,22). . Er meint jeden Menschen. Also auch uns. Dich und mich. Jeder und jede könnte hoch zu rühmen sein als Abbild des ewigen Schöpfers. Könnte! Aber „wir ermangeln des Ruhmes, den wir bei Gott haben sollten“.
Die Gutwilligen versuchen es mit Appellen. Das müsse doch zu schaffen sein, dass die Menschheit sich selbst und ihren Lebensraum zu einer Hall Of Fame macht, zu einer unvergleichlichen Ruhmeshalle. Mit der entsprechenden Mission sind zahlreiche Predigerinnen und Prediger unterwegs, darunter auch eine Menge weltliche. Und keine Frage: es ist auch zu begrüßen, wenn das Wohl der Welt im Detail mehr und mehr verbessert wird.
Aber das Heil der Welt besorgt kein Mensch. Na, vielleicht einer doch. Christen nennen ihn den wahren Menschen. Und den wahren Gott. Er ist der, dessen Namen sie tragen: Jesus Christus.
„Wir werden ohne Verdienst gerecht aus seiner Gnade durch die Erlösung, die durch Christus Jesus geschehen ist.“ So schreibt es Paulus ebenfalls in seinem Brief an die Römer. Der aufs Kreuz gelegte Gott schenkt auch bei aller Schuld – Zukunft. Also der Gott, der es am eigenen Leibe erfahren hat, wie es zugeht als Mensch unter Menschen und als Gott unter Menschen.
Ein Lied, das eigentlich in die Adventszeit gehört, bringt es auf den Punkt. Es ist ein Lied gegen die Dunkelheit und alle Finsternis. Am Ende heißt es: Gott will im Dunkel wohnen und hat es doch erhellt. Für jeden Sünder folgt daraus: Wer hier dem Sohn vertraute, kommt dort aus dem Gericht.
Und so bin ich mit dem bereits zitierten unbekannten Verfasser an einem Punkt uneins. Dass wir als Gäste auf dieser schönen Erde „nicht notwendig“ wären, glaube ich nicht. Denn wer mit den Augen der Liebe gesehen wird –und sei er noch der fragwürdigste Typ-, der ist für den anderen das Notwendigste auf der Welt. Gott sieht jeden Menschen mit diesen Augen. Ausnahmslos alle.
Besinnliche drei Tage wünsche ich Ihnen. Ich melde mich zu gegebenem Anlass wieder. Zu Ostern.
Ihr Pfarrer Werner Beuschel
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