Nach einer längeren Urlaubsreise in den Sommerferien stellte ich jetzt fest: es gibt sie noch, die Hindenburgstraße. Nicht dass ich davon ausgegangen wäre, dass sich die Prachtmeile Mönchengladbachs in Luft aufgelöst hätte. Die Häuser rechts und links des Straßenzugs standen noch, Fahrbahn und Fußweg gab es nach wie vor, und auch das Begleitgrün hielt sich wacker. Aber die RP-Meldung im Mai hatte mich auf eine mögliche Änderung aufmerksam gemacht: „Protest gegen Benennung der Hindenburgstraße“. Eine örtliche Initiative habe eine Protestaktion zur Umbenennung der Hindenburgstraße angekündigt. Da musst du öfter mal zum Straßenschild sehen, dachte ich mir. Der Namenszug kann schneller gecancelt sein als ein Ferienflug vom Düsseldorfer Airport.
Tja. Was soll ich sagen über diesen Paul Ludwig Hans Anton von Beneckendorff und Hindenburg? Vielleicht das: es gibt da so ein paar mit seinem Namen verbundene Daten in der deutschen Geschichte, die eher Anlass zur Scham sind als zum Stolz aufs Vaterland. Wirklich. Einen lupenreinen Demokraten würde ich ihn auch nicht nennen. Allerdings kann man sich mit so einer Etikettierung auch mal vertun. In einem anderen Zusammenhang ist das sogar einem Ex-Bundeskanzler gelungen. Und Etikettierungen sind sowieso nicht mein Ding.
Aber ich mache jede Namensänderung mit. Ich bin schließlich geübt. Ich habe schon einige Namenswechsel bei Städten und Straßen erlebt. Meine Mutter wurde in Chemnitz geboren. Die Pakete an die dortige liebe Verwandtschaft gingen dann nach Karl-Marx-Stadt. Heute ist das wieder Chemnitz. Eines meiner Patenkinder aus dem Freundeskreis hat ebenfalls eine Ost-Vergangenheit. Noch bis in sein Grundschulalter adressierte ich meine Briefe an die Clara-Zetkin-Straße. In den frühen 90-ern hatte die kommunistische Politikerin als Namensgeberin ausgedient. Fortan schrieb ich Berliner Straße auf den Umschlag.
Interessant fand und finde ich, wer diese Änderungen vornimmt. Denn hier wird deutlich, wer das Sagen hat. Wenn es um Namen geht, kommt auch die Machtfrage ins Spiel. Da ist zum Beispiel Simon. Er geht seinem Handwerk als Fischer nach. Am See Genezareth. Dann taucht eines Tages Jesus am Ufer auf und beruft ihn zum Menschenfischer. Und gibt dem Simon den Beinamen Petrus. Das heißt Fels. Nicht dass er diesen Namen verdient hätte. Dieser Simon war öfter ein Simon Windelweich als ein Simon Felsenfest. Aber Jesus hat das Sagen und verleiht ihm den Ehrennamen Petrus, unter dem er fortan kirchliche Karriere macht. Schön für Petrus.
Da ist auf der anderen Seite Zedekia. Er war der letzte König in Juda. Eigentlich hieß er Mattanja. Aber Nebukadnezar II entzog ihm diesen Namen und gab ihm einen anderen. Der babylonische König hatte die Macht dazu. Als Eroberer Jerusalems war er der große Bestimmer. Weniger schön für Zedekia.
Zurück zu Hindenburg. Wie lange lese ich noch seinen Namen auf dem Straßenschild? Selbst wer nicht von geschichtlichem Detailwissen angekränkelt ist, sieht in dem Reichskanzler wenigstens einen alten weißen Mann. Die Zukunft gehört aber anderen. Darum mein Vorschlag für Bestimmer, Bestimmerinnen und vor allem Bestimmende: die Strecke zwischen Alter Markt und Hauptbahnhof heißt künftig nicht mehr Hindenburgstraße. Sondern Prinzessin-Lillifee-Boulevard.
Werner Beuschel
Der Text ist ein von der Rheinischen Post (Lokalredaktion Mönchengladbach) für den 18.08.2023 erbetener Denkanstoß.