Solang ich mich zurückerinnern kann, bin ich ein Mitglied der evangelischen Christuskirchengemeinde. Pfarrerin Annette Beuschel taufte mich in der Christuskirche, da war ich drei Jahre alt. Während meiner Konfirmandenzeit begleitete mich vor allem Herr Beuschel. Eins meiner Highlights in dieser Zeit war auf jeden Fall die Herbstfahrt mit meiner Pfarrerin und meinem Pfarrer und der ganzen Konfirmandengruppe nach Tirol in die Berge und der Tagesausflug nach Venedig. Ich finde es schön und interessant, in andere Länder und Städte zu reisen und neue Kulturen zu entdecken.
Nach meiner Konfirmandenzeit half ich immer gern bei Events mit, egal ob Konfirmandentag, Sommerfest im Wichernhaus oder Christmas Classics. Und irgendwie war auch meine Pfarrerin daran beteiligt, dass ich mich vor vier Monaten auf eine ganz lange Reise gemacht habe. Die Bewerbungsunterlagen für ein Auslandsstudium mussten pünktlich zur Post gebracht und der Umschlag noch zugeklebt werden. Aber mir fehlte ein Kleber. Den konnte schnell Frau Beuschel organisieren. Und so bin ich nun seit mehr als einem Vierteljahr mit dem Parlamentarischen Patenschafts-Programm hier in Loveland, Colorado, in den Vereinigten Staaten. Und hier erlebte ich mit meinen 17 Jahren mein erstes amerikanisches Weihnachtsfest.
Der gravierendste Unterschied gegenüber dem deutschen Weihnachtsfest: Christmas Eve (Heiligabend) und Christmas Day (Erster Weihnachtstag) werden unterschiedlich verbracht. Auch gibt es keinen zweiten Weihnachtstag als Feiertag. Etwas vermisst habe ich als Weihnachtstradition den Adventskranz. In Mönchengladbach hatte ich auf ihm täglich die Kerzen angezündet.
Den Nikolaustag scheint man hier auch nicht zu kennen. Aber wenigstens in meiner Gastfamilie ist das jetzt anders. Denn als ich meiner Gastmutter erzählte, dass ich in der Nacht vom 5. auf den 6. Dezember immer einen Stiefel vor meine Tür stelle und ihn vom Nikolaus mit Orangen und Schokolade füllen lasse, war sie total begeistert und wollte diese Tradition mit mir feiern. Also kam der Nikolaus zu mir und meiner Gastfamilie. Das fand ich richtig schön.
Es ist vielleicht nicht das Weihnachtsdorf, wie ich es vom Alten Markt kenne, aber der Christkindlmarkt in Denver schenkte mir ein besonderes Heimatgefühl. Kurz vor Weihnachten war ich mit meinen Gastmüttern in dem großen Park direkt neben dem Colorado State Capitol. Dort gab es viele Stände mit traditionellen deutschen Speisen wie Käsespätzle, Kartoffelklöße, Flammkuchen, Apfelstrudel und vieles mehr. Man konnte dort ebenfalls traditionellen deutschen Baumschmuck, Glühwein oder Bierkrüge und viele weitere Leckereien finden.
Am Nachmittag des 24. Dezember machten sich meine Gastmutter Jill, ihre Mutter Jenny und ich uns auf den Weg in die „Foundations Church“. Das war mein erster Gottesdienst in eine US- amerikanischen Kirche. Sie ist eine sogenannte “Community Church“, welche erst 2011 gegründet wurde. Über 1500 Menschen ließen sich bis jetzt dort taufen. Das Ziel der Kirchengemeinde: man will die „Community“ zusammenbringen und den Glauben dieser Gemeinschaft an Jesus stärken. Das außergewöhnliche Leben von Jesus soll einer verlorenen und kaputten Welt nahebracht werden – so heißt der Leitspruch: „To bring the extraordinary life of Jesus to a lost and broken world.“
Ich wurde total überwältigt von der modernen Architektur der Kirche, da ich bisher ja nur traditionelle christliche Kirchen wie die Christuskirche gewohnt bin. Der große Raum erinnerte mich eher an eine Konzert- oder Theaterhalle. Es gibt keine Fenster, keine Orgel, keinen Altar, sondern eine riesige Bühne und viele Bildschirme, damit man von jedem Sitzplatz aus sehen konnte. Natürlich ist nicht jede US-amerikanische Kirche so neu und derartig ausgestattet, doch diese ist nun mal die einzige Kirche, welche ich bisher in den USA besuchte und mich dadurch total ins Staunen gebracht hat. Der Gottesdienst startete mit einem Konzert einer großartigen Band, dann folgten ein paar kurze Ansprachen des Pfarrers und zum Schluss sangen alle „Silent Night“, wobei jeder eine Kerze in die Luft hielt. Ich vermisste jedoch die Predigt. Als Konfirmandin hatte ich vor drei Jahren zusammen mit anderen aus meinem Kurs selber eine Predigt in der Christuskirche gehalten.
Das professionelle Konzert der Band erinnerte mich ein wenig an die „Christmas-Classics“ und an die Remember Band, die jedes Jahr vor Weihnachten in der Christuskirche zu erleben sind. Letztes Jahr habe ich „Backstage“ bei den Konzerten ausgeholfen. Eine von vielen Erfahrungen, die ich in Mönchengladbach gemacht habe und die mir jetzt bei den vielen „Volunteer“- Jobs helfen, die zum Austauschprogramm gehören.
Die Bescherung gab es am 25. Dezember, und zwar bei den Eltern meiner „Host-Mums“ (Gastmütter), welche eine Stunde südlich von uns wohnen. Wir aßen „Breakfast- Burritos“ zum Frühstück. Dann folgte die große Bescherung. Unter dem riesigen Weihnachtsbaum der Familie befand sich eine große Menge an Geschenken. Wir packten über vier Stunden immer abwechselnd unsere Geschenke aus. Es ist so, dass immer das jüngste Familienmitglied mit der neuen Runde anfängt. Diese Rolle durfte in diesem Jahr ich übernehmen
Wenn ich nun an die ganzen Weihnachtstage zurückdenke, kann ich sagen, dass ich viele tolle Eindrücke gesammelt habe. Vor allem der Besuch in die Kirche stellte sich als ein sehr ungewöhnlicher Gottesdienst für mich heraus und gab mir einen ganz anderen Einblick in eine christliche Kirche. Für mich ist es immer noch ein überwältigendes Gefühl, meine nächsten Monate auf der anderen Seite der Welt zu verbringen. Ich bin gespannt auf das, was noch auf mich zukommt.
Sophia Gilleßen