„Aufs Kreuz gelegt“. Von Narzissen und Palmzweigen

Ambivalenz, so weiß der Psychologe, beschreibt ein paralleles Vorhandensein von Gedanken, Gefühlen und Wünschen, die durch ihren Widerspruch zu inneren Spannungen führen können.

Soweit die Theorie. Die Praxis schildert Leserin  E.M.P. Zum Kürzel müsste noch der akademische Grad hinzugefügt werden. Aber man sehe es mir nach, dass ich der Verständlichkeit halber auf weitere Einzelbuchstaben und einen Punkt verzichte. „Der Frühling zeigt sich in seinen schönsten Farben. Die Spielwiese im Bunten Garten ist ein Traum: blühende Bäume und dazwischen ein Meer von Narzissen und Osterglocken“, hält E.M.P. in geschwungener Schrift fest. Es folgt ein Absatz. Und als nächstes die parallele Feststellung:  „Und dann diese Pandemie.“

Es ist ja wirklich fast zum Verrückt-Werden, was unseren Seelen derzeit zugemutet wird. Die Aufenthaltserlaubnis gilt vornehmlich für Haus und Wohnung, und draußen locken Sonnenschein und frühsommerliche Temperaturen und ein Erwachen der Natur von seltener Schönheit. Picknick im Grünen mit den Lieben? Angrillen mit den Kumpels? Kicken auf der Wiese mit den Sportfreundinnen? „Der Kopf sagt nein, das Herz schreit ja“, wie es in einem zeitgenössischen Song heißt.

E.M.P. tröstet sich mit etwas älteren Worten. Ihr helfen Zeilen von Ludwig Uhland. Der Dichter des vorvergangenen Jahrhunderts hat sie unter der Überschrift „Frühlingsglaube“ verfasst. Die Kolumnen-Leserin zitiert: „Nun, armes Herze, sei nicht bang! Nun muss sich alles, alles wenden.“ Und:  „Nun, armes Herz, vergiss die Qual! Nun muss sich alles, alles wenden.“

Ein famoses Gedicht. Es schaut sich um nach rechts und links und lenkt den Blick nach vorn. Uhlands Worte tun auch mir gut. Ich habe meine Freude an dem, was der Schöpfer derzeit alles dahin zaubert. Und wenn er schon das hinkriegt, dann wird er auch noch anderes zum Guten wenden  können. Ich halte jeden Augentrost in Ehren. Ganz vordergründig die Pflanze in der Familie der Sommerwurzgewächse, aber auch im übertragenen Sinn das blühende Leben, wie es übers Auge das Herz erfreut. Zum Beispiel die Magnolie, wie sie nebenstehend abgebildet ist.

Ein solcher Blick lässt tief blicken. Aber manchmal reicht er nicht tief genug. Nämlich dann, wenn man in einen Abgrund schaut. Schon bei Jesu Geburt musste der Engel für die Weihnachtsfreude eigens eine Ansage machen: „Siehe, ich verkündige euch große Freude, die allem Volk widerfahren wird.“ Die Umstände der Geburt waren ja eher dürftig.

Man sieht es dieser Welt nicht immer an, dass Gott mit ihr im Bunde ist. Das muss einem speziell gesagt werden. Im Buch der Natur steht das nicht. Im Buch der Bücher schon.

Die Bibel erzählt von einem gnädigen Gott. Sie erzählt von einem Gott, der sich in die tiefsten Abgründe hineinziehen lässt, in die wir geraten oder die wir füreinander bereithalten. Die Bibel erzählt von Jesus Christus: mitten in allen Abgründen, damit wir eine Brücke finden können.

Der kirchliche Kalender macht für den kommenden Sonntag auch Botanisches zum Thema. Er ist der Palmsonntag. Die biblische Erzählung dazu: mit Palmzweigen begrüßt die Menge den auf einem Esel in Jerusalem einziehenden Jesus. Wenig später wird er von ihr aufs Kreuz gelegt.

Auch das ist eine ambivalente Erfahrung. Am Ende wird sie aber überstrahlt von einem Licht, das stärker ist als jede Frühlingssonne. Am Ende steht ein neuer Anfang: die Ostersonne, die Auferweckung von den Toten.

Trotz der vielleicht trüben Stunden: ich wünsche Ihnen helle Tage!

Ihr Pfarrer Werner Beuschel

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