“Aufs Kreuz gelegt”. Sinn machen

Sinn hat Konjunktur.  Nur dass er nicht Sinn heißt, sondern mit der entsprechenden englischen Vokabel Purpose. In der Welt der Wirtschaft kommt man ohne sie kaum mehr aus. Als Unternehmer eine Idee zu haben, daraus ein Produkt werden zu lassen, mit dem sich am Ende sogar Geld verdienen lässt – das reicht nicht mehr. Zufriedene Kunden, Geld verdienende Mitarbeiter und gesteigerte Gewinne sind zu wenig.  Es braucht den Sinn, der hinter allem steht. Und so ernennen Deutschlands Unternehmer schon mal Mitarbeiter als „Head of Purpose“ und läuten eine „neue Ära der Verantwortung“ ein.

Zum ersten Mal ist mir das im Kino aufgefallen. Und zwar im Vorprogramm, bei der Werbung. Ich sah einen Imagefilm der Lufthansa. Gezeigt wurden wunderbare Bilder von Äthiopien, und eine weibliche Stimme schwärmte von der „Natur, Wahnsinns-Landschaften, einer jahrtausendealten Kultur“. Dann sieht man die Erzählerin, wie sie sich wohltätig engagiert. Und dass das Projekt von der Lufthansa unterstützt wird. Der Beruf der Erzählerin ist aber nicht Entwicklungshelferin. Sie verdient ihre Brötchen als Flugbegleiterin. Mit deren Alltag an Bord wollte die Lufthansa offensichtlich nicht werben. Ganz gemäß dem Firmen-Motto: „Wir verbinden Menschen, Märkte und Kulturen und geben unserer Arbeit damit einen wahren Sinn.“

Aber dem Sinn geht es  aktuell schlecht. Die Lufthansa bewegt jetzt ganz andere Fragen. Und so schien das auch auf den ersten Blick plausibel, was ich gestern in meiner Tageszeitung als Überschrift las: „Auch Sinn flüchtet unter den Rettungsschirm“. Als ich die ganze Meldung las, bemerkte ich meinen Denkfehler. Gemeint war die Modehandelskette , die wegen der Corona-Pandemie einem Insolvenzverfahren ausgesetzt ist.

Sinn muss sein. Für den Tag der Arbeit ist das als per Megaphon verstärkter gewerkschaftlicher Ruf vor Textilhäusern gut denkbar.  Aber auch sonst muss Sinn sein. „Connecting the dots“, das Verknüpfen der Punkte, nannte das Steve Jobs, der legendäre Gründer von Apple. Man müsse die Wegpunkte des Lebens verbinden. Und zwar so, dass die eine Geschichte ergeben, möglichst eine gute Geschichte. Und so erzählte Jobs im Jahr 2005 Absolventen der Elite-Uni Stanford, dass er selber vorzeitig die Uni verlassen hätte. Im Rückblick wäre es die beste Entscheidung seines Lebens gewesen, denn so hätte er sich mit Dingen beschäftigen können, die ihm wirklich wichtig waren.

Die Punkte verbinden, dem Ganzen einen Sinn geben. Es geschieht auch dieser Tage. Kolumnen Leser G.B. schickt mir eine angehängte Datei. Dort lese ich die Zeilen: „Die Erde ,reinigt’ sich alle 100 Jahre selbst: 1720 – Pest, 1820 –Cholera, 1920 – Spanische Grippe, 2020 – Corona“.

Connecting the dots. Schon klar. Aber die Reihung machte mich auch ratlos. Zum einen müsste ich noch mal im Geschichtsbuch nachschlagen, ob diese exakte Aufzählung von Jahreszahlen wirklich historischen Gegebenheiten entspricht. Zu anderen bin ich etwas empfindlich, wenn Tote unter Reinigungen und Säuberungen verbucht werden. Diese Empfindlichkeit hat mir schon mein Geschichtslehrer beigebracht.

Grundsätzlich meine ich aber, dass wir im Oberstübchen als Hobbyraum manchmal einen Sinn zusammenbasteln, den es vielleicht gar nicht gibt. Oder den es nur für mich gibt, der aber keinen Anspruch auf Allgemeingültigkeit erheben kann.

Der Apostel Paulus schreibt seinen Korinthern: Wir sehen jetzt durch einen Spiegel ein dunkles Bild; dann aber von Angesicht zu Angesicht. (2. Korinther 13,12). Mit anderen Worten: Oft ist uns gar nicht so klar, wie Gott am Werke ist in unserer Welt. Jesus ging es übrigens nicht anders. Seine letzte Worte am Kreuz waren: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen.“

Himmel und Erde erscheinen als ein unentwirrbares Knäuel, wenn ich eine Momentaufnahme vom Leben mache. Aber ich höre; hab ruhig ein wenig Geduld. Denn dir werden noch einmal die Augen übergehen. Dann, wenn du deinem Schöpfer und Erlöser gegenübertrittst, dann, wenn du erkennst von Angesicht zu Angesicht.

Und ich höre daraus zugleich den Rat: Lass dich jetzt nicht verrückt machen. Rätsel nicht bei allem, was dir widerfährt, herum, welche Himmelsbotschaft dahinter stecken könnte. Das erfährst du ohnehin zu gegebener Zeit. Quäl dich darum nicht unnötig, indem du einen Sinn zu finden meinst, der am Ende vielleicht doch nur bloße Spekulation ist.

Einen entspannten 1. Mai, ein gutes Wochenende und einen gesegneten Sonntag wünscht

Ihr Pfarrer Werner Beuschel

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