“Aufs Kreuz gelegt”. Maske? Was für eine Maske?

So mancher Ultra könnte sich jetzt fühlen wie der Held in einer antiken griechischen Tragödie. Da vermummt man sich nach allen Regeln der Kunst, um unerkannt mit Leib und Leben anderer Leute zu spielen, angefangen vom Zündeln mit brandgefährlicher Pyrotechnik bis hin zum plakativen Aufruf zum Abschuss missliebiger Zeitgenossen. Und dann das: Vermummung wird staatlich angeordnet, der Mund-Nasen-Schutz ist überall dort zu tragen, wo der gebotene Mindestabstand vielleicht nicht eingehalten werden kann. Aber, und jetzt wird’s richtig tragisch: das gilt nicht fürs Stadion. Dort findet nämlich weiterhin überhaupt nichts mehr statt. Vorerst.

So richtig habe ich das nie verstanden, warum diese Leute in der Kurve bei ihrem Treiben nicht ihr Gesicht zeigen, wo sie doch nach eigener Auskunft für das Gute und Wahre des Bundesligafußballs stehen. Ich habe es übrigens auch nie verstanden, warum im Hambi so viele Leute an der Grenze zur Vollverschleierung zu besichtigen sind. Einen Forst retten zu wollen, ist doch ein edles Motiv. Da braucht sich keiner zu verstecken.

Auf der anderen Seite hat die mit dem heutigen Tag eingeführte Maskenpflicht auch ihre guten Seiten. Man betritt als Hans Wurst den Laden und fühlt sich dank des über Mund und Nase gezogenen Halstuchs wie Billy the Kid. Man betritt mit medizinischem Mundschutz den Linienbus und kommt sich vor wie Professor Brinkmann aus der Schwarzwaldklinik.  Diese seelischen Wohlstandsgewinne sind nicht zu verachten. Und dann sind da ja noch die epidemiologischen Vorteile des Luftfilters vor Nase und Mund.

Es gibt auch Nachteile. Meine Frau arbeitet als Gehörlosenseelsorgerin, und sie hat mir erzählt, dass die Menschen ihrer Gemeinde darauf angewiesen sind, das Mundbild zu sehen. Andernfalls sind sie zusätzlich gehandicapt. Und ich gebe zu, dass ich nicht lange rumrätseln möchte, wer denn nun vor mir steht, wenn ich als Pfarrer in der Gemeinde unterwegs bin.

Der erschwerte Kontakt oder gar kein Kontakt kann eine Last sein, vielleicht sogar auch ein Kreuz. „Am allerschwersten ist es“, schrieb mir Kolumnen-Leserin C.S.-F. (klingt mindestens so gut wie CR7), „am allerschwersten ist es  zu akzeptieren, dass ich meine Enkelkinder nicht sehen kann. Wir haben uns alle so sehr auf die gemeinsamen Osterferien gefreut und nun: kein Strandleben, statt dessen  Kontaktsperre!“

Es ist nun mal, wie es ist. Wir müssen mit dem leben, was gilt. Aber ich freue mich schon jetzt auf den Tag, wo man wieder unbefangen einander sein Gesicht zeigen kann. Einer allerdings sieht jetzt schon tiefer. Im 16. Kapitel des 1. Samuelbuchs heißt es: Ein Mensch sieht, was vor Augen ist, der Herr aber sieht das Herz an.

„Einmal, Victor, ein einziges Mal sollten Sie uns zeigen, wie Sie wirklich aussehen – und wenn es nur ganz kurz ist . . .“, bittet mit gewinnendem Lächeln Evelyn Hamann den von ihr interviewten Vic Dorn. Er ist Darsteller in Horrorfilmen und wird in diesem Sketch glänzend gespielt von Loriot. Die Interviewerin findet es zunächst „besonders reizend, dass Sie heute Abend für unsere Zuschauer Ihre berühmte unverwechselbare Horror-Maske angelegt haben“. Vic Dorn schaut mit leerem Blick. Er scheint nicht recht zu verstehen.  „Was für eine Maske?“ Die Augen irren umher. Die Interviewerin gerät ins Stocken: „Oder ist es zu kompliziert, die Maske abzunehmen?“ „Wie? Was? Abnehmen?“ Nun gerät Evelyn Hamann vollends aus der Fassung, greift zur Handtasche und muss sich erst mal eine Zigarette anzünden.

Ein Sketch. Eine kurze, witzige Bühnen-Szene. Sie weist über sich hinaus. Auch wenn manche vermeintliche Maske tatsächlich das wahre Gesicht sein sollte, so gilt auch dann: Ein Mensch sieht, was vor Augen ist, der Herr aber sieht das Herz an. Er sieht es gnädig an. Ein Augen-Blick der Liebe.

Eine gute Woche mit Weitblick und wohltuenden Inspektionen im Nahbereich wünscht

Ihr Pfarrer Werner Beuschel

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