„Aufs Kreuz gelegt“. Kant und die Folgen

IMMANUEL KANT (1724-1804), Grafik: Römling (GEP)

Ihm stand die ganze Welt offen. Doch er blieb zu Hause. Er lebte den Imperativ unserer Tage kategorisch: Stay at home! Nahezu sein ganzes Leben verbrachte er in seiner Heimatstadt Königsberg.  Sein Name: Immanuel Kant.

Mit seinem weltoffenen Geist bereiste er das Universum. Und  schuf mit seiner Philosophie eine neue Welt. Die Genauigkeit und auch die Strenge seines Denkens imponieren mir. Seit Studientagen beschäftigt es mich. Kants Bild hängt in meiner kleinen Schreibstube. Es ist aber flankiert von den Portraits Karl Barths und Martin Luthers. Eine absichernde Maßnahme. Ich werde das gleich erläutern.

Auf Immanuel Kant hatte mich G.T. angesprochen. Mit leichter Hand hatte ich gegen Ende einer meiner letzten Kolumnen den Königsberger Philosophen ins Spiel gebracht. G.T., den ich immer mal wieder sehe, bis dahin allerdings noch nie dessen philosophischen Ambitionen bemerkt hatte, G.T. also schrieb mir: „Soviel ich weiß, hat Kant von der Offenbarungsreligion nicht viel gehalten und die kirchlichen Rituale sogar als “Afterdienst” bezeichnet. Auf jenseitige Unterstützung hat dieser Philosoph damit verzichtet.“

Stimmt. Schon der Titel seiner Religionsschrift von 1793 bzw. 1794 ist vielsagend. Kant behandelt die „Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft“. Entscheidend ist für ihn die moralische Dimension: „Religion ist (subjektiv betrachtet) die Erkenntnis aller unserer Pflichten als göttlicher Gebote.“ Offenbarung kann von der Vernunft zur Religion „hinzugedacht“ werden.

Die Ausrichtung auf Pflicht und Moral finde ich sehr respektabel. Aber ob sie auch tröstlich ist? Ob sie mich so tragen kann wie ein Wort, das ich mir selber weder „aus eigener Vernunft noch Kraft“ (M. Luther, Kleiner Katechismus) sagen kann: “Ich hab dich lieb, ich will nicht ohne dich sein.“

Klar, die Konzentration auf Moral und das ganz Praktische sind eingängig. Auch für die Rede auf der Kanzel. Und dann wird in österlicher Zeit zum Beispiel die Auferweckungsbotschaft zur Empfehlung, wie mit dem Phänomen des Scheintods umzugehen ist, gipfelnd in dem Merksatz: „Senk nie sofort die Leiche ein, sie könnte noch lebendig sein.“

So etwas wurde tatsächlich gepredigt. Es ist zwar lang her, aber den Moralapostel im Talar gibt es noch immer. Ich muss mich korrigieren. Das stimmt so nicht ganz. Es muss natürlich heißen: Moralapostel*innen.

Allerdings wird man Kant nicht vorwerfen dürfen, dass er selber einer war. Wer heute öffentlich kundtut, wo’s lang geht und dabei überhaupt nicht von irgendeinem Selbstzweifel angekränkelt zu sein scheint, darf gern noch mal bei Kant nachblättern: „Man täuscht sich nirgends leichter als in dem, was die gute Meinung von sich selbst begünstigt.“

Ich für meinen Teil bin froh, jetzt wieder in der Gemeinschaft der Heiligen als Gemeinschaft der Getauften und also auch ganz leibhaftig mit der lieben Gemeinde Gottesdienst feiern zu können. Mit Mundschutz, dafür ohne Gesang – das wird erst mal sehr ungewohnt sein. Aber da sind ja die Kirchenmauern, die voller Gebete und Gesänge hängen. Und da sind die vertrauten Menschen, die einem vermitteln, dass man in guter Gesellschaft unterwegs ist auf der Durchreise, die man das Leben nennt.

Was die Aufnahme der Gottesdienstfeiern für die Fortsetzung dieser Kolumne bedeutet? Nun, auf meine den Philosophen Kant strapazierende Frage „Was soll ich tun?“ schrieb mir T.K.:  „Diese digitale Dimension hat Bestand und will arbeitstechnisch untergebracht werden. (…)  Das Kind ist geboren und soll erwachsen werden, so zumindest meine Auffassung!“ Und C.Z. ermunterte mich zum Weitermachen mit einem ausdrücklichen Dank und dem Hinweis, dass sie den Sohnemann und die Schwiegertochter regelmäßig auf die Kolumne hinweist: „auch für sie ein kleiner meditativer Ersatzgottesdienst.“

Nun wird wieder live und in Farbe Gottesdienst gefeiert.  Dafür melde ich mich an dieser Stelle demnächst weniger eng getaktet.

Bleiben Sie behütet!

Ihr Pfarrer Werner Beuschel

 
  

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