“Aufs Kreuz gelegt”. Sie gehen am Stock

Diese Leute gehen am Stock. Beruflich. Und das ist nicht im übertragenen Sinn gemeint. Beides, das Gehen und der Beruf, ist nicht bildlich gesprochen. Es handelt sich nicht um Leute, die unter einer schweren Last ächzen und stöhnen und kaum mehr weiter können. Diese Leute, die ich jetzt meine, gehen in einem ganz vordergründigen Sinn beruflich am Stock. Bisweilen stehen sie auch. Es sind Hirten bei der Arbeit.

Der kirchliche Kalender widmet den kommenden Sonntag mit dem lateinischen Namen Misericordias Domini (die Barmherzigkeit des Herrn) dem Guten Hirten. Das vielleicht bekannteste Stück Bibel  spricht ihn direkt an: Der Herr ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln. Und was folgt in diesem 23. Psalm, sind Worte, die gut sein können für ein ganzes Leben. Zum frischen Wasser führt der himmlische Hirte die Seinen und auf rechter Straße sowieso. Und schon die Kleinen verstehen schnell, dass mit der rechten Straße die richtige gemeint ist und nicht der Ausschluss des Linksverkehrs.

Aber falls es doch mal zur Geisterfahrt kommt, falls es doch mal richtig brenzlig wird durch Gefahren, die ich vielleicht gar nicht heraufbeschworen habe, dann gibt es ja noch den Stock. Nämlich den Hirtenstab. Dein Stecken und Stab trösten mich,  heißt es auch im Psalm vom Guten Hirten. Besonders dann sind Stecken wie Stab tröstlich, wenn ich schon wanderte im finsteren Tal. Denn du bist bei mir.

Der Stock ist nämlich auch eine Waffe. Eine Verteidigungswaffe. Die Spitze ist mit Eisen beschlagen, um den Angriff wilder Tiere abzuwehren. Der himmlische Hirte ist nicht nur bei mir. Er setzt sich auch für mich ein. Und auch sein Leben aufs Spiel. „Ich bin der gute Hirte“ sagt Jesus, um fortzufahren, „der gute Hirte lässt sein Leben für die Schafe.“ Aufs Kreuz gelegt.

Zu Gottes Bodenpersonal zählen auch Hirten. Ihr lateinischer Name: Pastores. Diese Leute bringen die gute Nachricht von Gottes unendlicher Liebe unters Volk. Manchmal riskieren auch sie dafür ihr Leben. Dietrich Bonhoeffers Ermordung im Konzentrationslager Flossenbürg jährte ich am 9. April zum 75. Mal. Kolumnen-Leser M.P. hat daran erinnert. Wie finster es zu anderer Zeit aussah und gegenwärtig in anderen Weltgegenden zugeht, will ich im rechtstaatlichen und gut organisierten Deutschland gerade in der Corona-Krise nicht vergessen.

Mein Pastoren-Alltag ist vergleichsweise undramatisch. Gott sei Dank. Wohl meine ich, dass ich den Leuten eher hinterherlaufe als sie zu führen. Zum Beispiel zum frischen Wasser und auf rechter Straße. Aber das ist vielleicht auch ganz gut so. Zum einen wissen die Menschen in der Regel auch so, was ihnen gut tut. Zum anderen spricht der 23. Psalm die Führungsqualität dem himmlischen Guten Hirten zu.

Am Stock gehe ich also nicht. Weder im vordergründigen noch im übertragenen Sinn. Die meisten Pastoren tun das nicht, zumindest im vordergründigen Sinn. Den Bischofsstab, der ja ein Hirtenstab sein will, halten nur wenige in der Hand. Walking-Stöcke lasse ich jetzt mal nicht durchgehen.

Ich muss mir allerdings überlegen, wie ich meine Pastorentätigkeit weiter gestalten will. Auch die Kirchen überlegen derzeit eine Exit-Strategie. Gottesdienste am Bildschirm mitzufeiern, ist für mich ein Notbehelf. Am Ostersonntag fanden meine Frau und ich den vom ZDF übertragenen Gottesdienst mit Präses Annette Kurschus sehr ansprechend. Aber mitsingen konnte ich vor dem Bildschirm nicht. Und auch das Mitbeten fiel mir schwer. Ich war halt Zuschauer – und nicht Mitwirkender, wie ich das sonst in jedem Gottesdienst bin (und das eben nicht nur im Talar). Deshalb würde ich eine baldige Rückkehr zu Präsenz-Gottesdiensten sehr begrüßen.

Gleichwohl mache ich derzeit sehr gute Erfahrungen, was das geistliche Gespräch angeht. Nämlich mit dieser Kolumne. Der Austausch, der sich per mail, Telefon oder auch dem herkömmlichen Brief entwickelt, geht weit über ein sonntägliches Predigtnachgespräch hinaus. Das meine ich nicht nur hinsichtlich der Anzahl der Gesprächsteilnehmer. Das meine ich auch hinsichtlich der Substanz. Ich freue mich über den intensiven Austausch, der über das Niveau vorgeschichtlicher Höhlenmalerei hinausgeht: Daumen hoch, Daumen runter, zwinkerndes Gesicht mit herausgestreckter Zunge hier, sich vor Lachen auf dem Boden wälzen dort.

Beides wird in Zukunft nicht gehen: das bislang übliche Programm und diese Kolumne. Überdies hat mir der vielfach begabte Kolumnen-Leser M.S. geraten, meine Zeilen auch als Podcast zu präsentieren.  Das schrieb mir auch schon Leser M.F.

Was kann ich wissen? Was darf ich hoffen? Was soll ich tun? Das waren für Immanuel Kant zentrale philosophischen Fragen. Bei der letzten dürfen Sie mir gerne helfen.

Ihr Pfarrer Werner Beuschel

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