“Aufs Kreuz gelegt”. Der letzte Schrei

Es ist der wohl berühmteste Schrei  in der Geschichte der Popmusik. Und wer ihn hört, hat meist auch das Bild des Sängers vor Augen. Im Rhythmus des Songs verrenkt er sich mehr als dass er ihm mit geschmeidigen Bewegungen folgt, Unter- und Oberarme winkeln sich abenteuerlich ab, ein Zucken geht durch den ganzen Körper. Und nach der Strophe dann der Schrei, der unter die Haut geht. Es folgt der Refrain: With a little help fromm my friends. Der Name des Sängers: Joe Cocker.

Das Original stammt von den Beatles. Ich habe es immer mehr gemocht als die Version von Joe Cocker. Ringo Starr, der bei den Beatles das Schlagzeug bediente, hat es gesungen. Ringo muss, als der liebe Gott die Gabe des Gesangs verteilte, sich nur zögerlich gemeldet haben. Aber gerade bei diesem Song, den ihm John und Paul auf den Leib geschrieben haben, tut die eher schlichte Stimme gut. Der Text ist ja dramatisch genug.

Er ist als Frage-Antwort-Spiel aufgebaut. Es geht zum Beispiel so: What do You see, when You turn out the light? Es ist die vielleicht denkwürdigste Frage des Beatles-Songs: was siehst du, wenn du das Licht mal löschst? Und die Antwort lautet: I can’t tell you, but I know it’s mine – kann ich nicht sagen, aber ich weiß, mich wird’s treffen.

In dieser Liedzeile ist nicht bloß der Lichtschalter zum Keller gemeint ist, mit dem man sich selbst am Tag in die Dunkelheit bringen kann. Wir wissen, diese Liedzeile ist ein Bild. Ein Bild dafür, dass auch sonst für einen buchstäblich das Licht ausgehen kann. Manchmal von einer Sekunde zur andern. Wenn ich nicht mehr das Vertraute und den Vertrauten sehen kann, wenn ich mich verraten und verlassen fühle.

Und dann ist auf einmal die Seele verdunkelt. Und man fühlt sich aufs Kreuz gelegt. Reingelegt, gehandicapt, leidvoll geprüft. In den zurückliegenden Wochen, die ganz im Zeichen der Pandemie standen, konnte manch einer sein entsprechendes Liedchen singen.

Aber gerade das ist ja nicht möglich. Jedenfalls heute, wo die Gemeinde  nach Wochen erstmals im Gottesdienst saß und den gemeinsamen Gesang hätte anstimmen können. Der Infektionsschutz sprach dagegen. Da ist ja auch verrückt: ausgerechnet am Sonntag Kantate muss man die Aufforderung überhören, die das lateinische Wort ist. Nämlich: Singt! Und der kirchliche Kalender sah als Wochenlied vor: „Du meine Seele, singe, wohlauf und singe schön“. Die Kirchenleitung machte aber bei ihren Schutzkonzepten Zugeständnisse. Mitsummen dürfe man die Choräle schon. Also: du meine Seele, summe, wohlauf und summe schön. Es wurde in Fragen der Lebenslust  ja schon früher empfohlen, sich bei den Bienen umzuschauen. Zu Aufklärungszwecken, Sie wissen schon.

Es war allerdings nicht die pure Lebenslust, die einen anderen sein Lied anstimmen ließ. Im Gegenteil: Schmerz und Verzweiflung brachten den Mann dazu, zum Liedgut seines Volkes  zu greifen. Das Liedgut bestand aus den Psalmen. Und so sind von dem aufs Kreuz gelegten Jesus Liedverse als letzte Worte überliefert. Zum Beispiel aus Psalm 31: In deine Hände befehle ich meinen Geist. Oder aus Psalm 22: Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen.

Für unsere Ohren hört sich das vielleicht eher beiläufig an. So lakonisch wie Ringos Gesang. Man hört kaum mehr hin, was denn da gesagt und gesungen wird. Bei einem Schrei verhält es sich anders. Vielleicht hilft Joe Cocker mit seiner Version doch weiter. Die Evangelisten Matthäus und Markus berichten, dass Jesus laut schreiend gestorben ist.

Es ist nicht bei diesem Schrei geblieben. Wir leben jetzt in österlicher Zeit. In ihr kommt zur Geltung, dass der Schrei, dass jeder Schrei in einen Jubel aufgehoben ist. Weil Gott der Vater seinen Sohn nicht im Tod gelassen hat. Weil er sich als Freund des Lebens gezeigt hat.  Als Freund jedes menschlichen Lebens.

Gerade dann, wenn die Dunkelheit einen regelrecht zu überfallen droht, kommt’s darauf an, darauf vertrauen zu können, dass ein Freund für einen da ist: I get by with a little help from my friends. Die Freundschaft des Himmels will sich bewähren. Im Leben zählt das große Ja, mit Gottes Hilfe. Mit ihm kann man über alles reden: über Anspruch und Wirklichkeit, über Gelingen und Versagen, über Leben und Tod und ewiges Leben.

Ich möchte noch mal auf das Wochenlied zurückkommen und seinen Text. Ich will’s jetzt weder singen noch summen, sondern einfach nur eine Strophe des Liedes sagen: Er ist das Licht der Blinden,/ erleuchtet ihr Gesicht,/ und die sich schwach befinden,/ die stellt er aufgericht‘./ Er liebet alle Frommen,/ und die ihm günstig sind,/ die finden, wenn sie kommen,/ an ihm den besten Freund.

Kommen Sie gut durch die neue Woche und pflegen Sie bei Gelegenheit Ihre Freundschaften.

Ihr Pfarrer Werner Beuschel

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