Gedankensplitter und Gottvertrauen

19. April 2020 Sonntag: „Quasimodogeniti“ – „Wie die neugeborenen Kinder“

Liebe Mitchristen, liebe Mitmenschen,

nein: Keine „Corona-Ansprache“, ich kann sie bald nicht mehr hören! Als ob die Pandemie das einzige Thema sei! Als ob sie alles andere verdrängen würde. Sie hat sich, zugegeben, ordentlich breit gemacht in unserem Alltag. So breit, daß manchem die eigenen vier Wände eng geworden sind in den Wochen, die hinter und noch vor uns liegen. Verrückt: Das Winzigste, das wir mit „Leben“ in Verbindung bringen (dabei sind Viren gar keine Lebewesen, sondern „nur“ Erbgutträger, also das Reduzierteste an Existenz, was es im Reich der Biologie an dessen Außengrenzen gibt), legt alles Große, Laute, Schnelle lahm. Wir waren uns unseres Lebens so sicher…

Schlimm nur die vielen Toten, die trauernden Angehörigen, die Schwerkranken. Schlimm die Brautpaare, die mich anrufen und mit denen wir neue Termine im Herbst oder im nächsten Jahr (sicher ist sicher) beratschlagen, die Taufen, die Geburtstage – die Beerdigungen ohne würdevollen Gottesdienst im kleinsten Kreis. Schlimm nur die Menschen, die um ihr Auskommen bangen, während andere Hoffnung schöpfen. Schlimm die vielen im „Homeoffice“, wenn gleichzeitig die Kinder nerven…

Gut dran ist der, der sich nicht sorgen braucht, weil er versorgt ist! Weil das Geld kommt, weil er Zeit hat, weil die Kinder groß und die alten Eltern gesund sind. Die reden von dem „Geschenk der Entschleunigung“. Und freuen sich, daß alles mal langsamer geht. Und kommen vielleicht sogar zur Besinnung, zum Nachdenken, zum Feststellen, daß manches in ihrem Leben verzerrt, verpeilt und höchst überflüssig war. Die einzige Lehre, die man ziehen kann: Bescheidenheit lernen, demütig werden. Und auch: Zufriedensein mit dem sogenannten „kleinen Gück“.

Wir erleben es doch: Da braucht man eine Kleinigkeit zum Kochen, die Schlange vor dem Geschäft ist dank des Sicherheitsabstandes riesig, ist man drin, geht man sich aus dem Weg – bis man auf dem Weg zur Kasse wieder Schlange steht. Dauer: Rasch schon mal 1,5 Stunden für 10 Eier. Oder man zahlt im Kleinstladen ordentlich mehr. Aber der Inhaber will ja auch leben. Neulich sah ich sie vor der Apotheke: 5 – 10 Menschen auf dem Bürgersteig. Freiwillig stand dort keiner und auch die Abstände entsprachen nicht genau den angeratenen 1,5-2 Metern. Die Geduld läßt nach. „Lockerungen“ sind angesagt, doch für viele (Lehrer) scheint stattdessen das Chaos erst zu beginnen. Kurz: Vertrautes taumelt. Die Welt spielt noch ein wenig verrückter.

Nein, ich will mich nicht beschweren: Immer noch reichen die Vorräte, ist der Kühlschrank voll, nur der Wein geht zur Neige. Die Deutschen sollen ein Mehrfaches an Alkoholika kaufen, las ich neulich: Wenn´s hochkommt, runterspülen, sagte man einst in Studentenzeiten. Ich frage mich: Kann man sich so auf sich selbst und den engsten Kreis geworfen nicht mehr aushalten? Müssen wir uns betäuben, müssen wir unseren Frust an den Falschen rauslassen – und warum ist der überhaupt da?  – Je mehr meine Gedanken mit mir kreisen, desto klarer wird mir: das nennt man in guter lutherischer Tradition „Sünde“! Bekommen Sie keinen Schrecken, Luther hat das mal übersetzt: Incurvatus in se ipsum – das Verkrümmt sein in sich selber, man hört das förmlich im Lateinischen diese kurvige Verrenkung. Es ist die Bauchnabelschau, das Um-sich-selber-Drehen. Körperliche Folgen: Rückenschmerzen! Geistige Folgen: Begrenzter Horizont. Seelische Folgen: Mißmut und Grätzigkeit. Alles nicht gut und schon gar nicht gesund. Da helfen weder Mehl und Alk noch Hefe und Toilettenpapier. Da hilft nur Aufrichten. Strecken und den Horizont weiten. Geht gut, wenn man zum Himmel schaut. Dann stellt man plötzlich fest: Er ist ja noch da! Und hört die Vögel zwitschern. Und sieht die frischen grünen Blätter. Und atmet (Allergiker ausgenommen!) tief durch.

Ein Heilmittel gegen ein in-sich-selbst-verkrümmtes Leben. Laßt Euch nicht lähmen, laßt Euren Horizont nicht kleinmachen, möchte ich rufen! Luther meinte mal: „Ich fresse wie ein Böhme und saufe wie ein Deutscher und sterbe, wann Gott es will.“ – Man muß es ja nicht übertreiben, er litt furchtbar unter dem, was seine Lebensweise ihm beschert hat: Steine und Gicht und all die fiesen Dinge, die mit zu viel Schweinshaxen, Bier und Wein einhergehen. Aber sein Gottvertrauen wünscht´ ich manchem: Nicht der Virus hält die Welt in seiner Hand, sondern der, der sie geschaffen hat! Warum er sich dabei auch Viren, Bakterien, Spinnen und sowas ausgedacht hat, weiß ich nicht. Vielleicht, damit wir manchmal Demut lernen, wenn wir uns unseres Lebens und Alltags zu sicher waren. Vielleicht, um bescheiden zu werden und festzustellen, was man alles in der Wohnung gehortet hat und daß man wirklich nicht jede Woche dreimal Shoppen gehen muß. Um sich wieder aufzurichten und die Umgebung ganz neu wahrzunehmen: Der Nachbar – Mensch, wir leben unter einem Dach und wenn hier der Virus durchgeht, trifft es uns alle. Also: Aufgepaßt. Die alte Frau von gegenüber – und wer kauft mal für mich ein, wenn ich alt und allein bin? Also…

Trotzen wir dem Virus: Lernen wir neu zu leben! Viren existieren nur, sie leben nicht. Stellen wir dem unwahren Leben, das sie vorgeben, wenn sie unsere Zellen befallen wollen, das Leben entgegen. Stellen wir allem falschen Leben, das nur ein Existieren, ein Kämpfen, ein Schuften, ein Hindämmern das wahre Leben entgegen! Habt keine Angst! Oder mit einem, der Frau und Kinder verloren hatte und der die wunderbaren Worte schrieb:

Befiel du deine Wege / und was dein Herze krängt / der allertreusten Pflege / des der den Himmel lenkt. / Der Wolken, Luft und Winden / gibt Wege, Lauf und Bahn, / der wird auch Wege finden, / da dein Fuß gehen kann.

Hoff, o du arme Seele, / hoff und sei unverzagt! / Gott wir dich aus der Höhle, / da dich der Kummer plagt, / mit großen Gnaden rücken; / erwarte nur die Zeit, / so wirst du schon erblicken / die Sonn der schönsten Freud.

Herzlich grüße ich Sie als Ihr Pfarrer Dr. Karl-Heinz Bassy (Tel. 895802)

Bild: Peter Weidemann
In: Pfarrbriefservice.de

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