Liebe Mitchristen, liebe Mitmenschen,
eine weitere Woche geht ins Land, die sehr „besonders“ ist, auch wenn manche von „Öffnungen“ und „Erleichterungen“ sprechen. Ab Montag: Maskenpflicht in weiten Teilen unseres öffentlichen Lebens. Immerhin: Man kann wieder Einkaufen gehen, auch wenn das zumeist Schlange stehen bedeutet. Vom Sitzen in Cafes und Restaurants sind wir noch weit entfernt, obwohl es im Medienwald ja rauschte, daß die Gastronomie ab Mai – unter Auflagen – öffnen dürfe. Hin und her, rein in die Kartoffeln, raus aus den Kartoffeln – wir werden das noch eine ganze Weile (und hoffentlich nicht bis zum nächsten „Shutdown“, ein widerliches Wort) erleben. Von „Normalität“ wie wir sie gekannt haben, trennt uns jedenfalls noch vieles, vielleicht werden wir uns überhaupt als Gesellschaft ganz neu in unserem Alltagsverhalten sortieren und an bislang Unbekanntes gewöhnen müssen (Küßchen links, Küßchen rechts gehört wohl auch dazu…).
Die Aufmerksamkeit läßt bei vielen freilich nach. Irgendwann muß doch mal gut sein mit den Einschränkungen! Und manche twittern und brüllen auf der Straße: Die Einschränkungen sind demokratiegefährdend! Und: „Ich lasse mir nicht vorschreiben, wann ich Panik habe und wann nicht, das bestimme ich selber“; selbst bei Twitter gelesen, was eine Menge über den Autor dieser Zeilen sagt.
Am 3.Mai dürfen in unserem Bundesland die Kirchen für Gottesdienste wieder öffnen – wenn die üblichen Sicherheitsvorkehrungen gewährleistet sind. Das wird bei uns am 3.Mai definitiv nicht der Fall sein! Vielleicht am 10. oder wahrscheinlicher am 17. Mai. Wir werden über einen Extra-Gemeindebrief informieren. Uns geht Sicherheit vor und da fehlt es uns noch an einigem, was nur mit Lieferfristen zu bekommen ist. Halbe Sachen wollen wir nicht machen. Auch wird die Zahl der Gottesdienstbesucher auf 35 beschränkt bleiben müssen, so daß wir mindestens zwei Gottesdienste pro Sonntag nach Voranmeldung und Kontingentierung anbieten werden. Wir befinden uns in guter Gesellschaft. Martin Luther hat 1527 in seinem Brief „Ob man vor dem Sterben fliehen möge“ geschrieben:
So will ich zu Gott bitten, daß er uns gnädig sei und wehre. Danach will ich auch räuchern, die Luft reinigen helfen, Arznei geben und nehmen. Orte und Personen meiden, da man meiner nicht bedarf, auf daß ich mich selbst nicht verwahrlose und dazu durch mich vielleicht viele andere vergiften und anstecken und ihnen so durch meine Nachlässigkeit Ursache des Todes sein möchte. Will mich indes mein Gott haben, so wird er mich wohl finden, so habe ich doch getan, was er mir zu tun gegeben hat, und bin weder an meinem noch an anderer Menschen Tod schuldig. Wo aber mein Nächster meiner bedarf, will ich weder Orte noch Personen meiden, sondern frei zu ihm gehen und helfen, wie oben gesagt ist. Siehe, das ist ein rechter, gottesfürchtiger Glaube, der nicht dummkühn noch frech ist und auch Gott nicht versucht.
Eigentlich ist in diesen Zeilen alles gesagt, obwohl es nicht um Corona in einem hochzivilisierten, sondern um die Pest in einem spätmittelalterlichen Land geht. Man soll Gott nicht versuchen, manche würden heute sagen: das Schicksal nicht herausfordern. Glaube darf nicht „dummkühn“ sein: „tollkühn“ heißt das übersetzt, ohne Verstand, blauäugig. Sondern mit Vernunft und Augenmaß. Wissend, daß bei gebotener Vorsicht unser Lebensende nicht ein Virus, sondern Gott bestimmt. Wobei – das sei gesagt – er auch Viren nutzen kann. Klingt hart, ich weiß. Aber er „nutzt“ auch Infakte Krebse oder Verletzungen, wenn wir sie uns nicht durch einen ungesunden Lebenswandel selbst zugezogen haben oder sie uns durch die Schuld anderer (z.B. bei Unfällen oder Verbrechen) zugefügt wurden. Wobei ich damit nicht sage, daß Gott uns durch ein Geschick straft. Aber er spricht uns an – durch j e d e s Geschick, das uns widerfährt, es sei gut oder böse. Und ruft uns auf, unser Leben und das unserer Lieben (und all der andern) in seine Hände zu legen und das jeweils Gebotene zu tun, um dem Bösen zu wehren. So wird Gottvertrauen zu einer beruhigenden Grundlage für angemessenes Verhalten, das sich selbst und den Nächsten, den Mitmenschen nicht schädigt. Und weil es ein Vertrauen zu Gott, zu unserem himmlischen Vater ist, ist es etwas anderes als Fatalismus oder reine Schicksalsergebenheit. Denn Gottvertrauen rechnet mit Gottes Beistand und Hilfe, rechnet sogar mit Wundern, hört nicht auf zu hoffen – auch über den Tod hinaus.
Bleiben wir also besonnen, gerade auch als Christen. Geben wir auch weiterhin acht auf andere und auf uns. Niemand hindert uns daran, den Frühling draußen zu genießen (außer diese für manche sehr „blöden“ Pollen, ich gehöre leider zu diesen manchen). Gewiß, wer Eltern oder Großeltern in Heimen nicht besuchen kann, wer jemanden betreut oder pflegt und deswegen ganz besonders vorsichtig sein muß, der hat mit jedem weiteren Tag in dieser Lage ebenso sehr zu kämpfen wie viele andere, die um ihre wirtschaftliche Existenz fürchten. Es sind keine leichten Zeiten. Martin Luther im Gefolge des Evangeliums lehrt uns mit seinen Worten füreinander einzustehen. Das gilt auch für die, die ein gesichertes Einkommen haben und die darum gerade die unterstützen können, die ein kleines Geschäft haben. Das lehrt uns, unsere Wertmaßstäbe im bisherigen Leben zu überdenken und manches geradezurücken – im persönlichen Leben wie in unserem Land – oder gar der Welt. Ob es uns gelingt, „weiser“ zu werden: Barmherziger, liebevoller, dankbarer, bescheidener, achtsamer? Ich wünsche es uns allen!
Bleiben oder werden Sie gesund! Im Gebet bleibe ich mit Ihnen verbunden
Pfarrer Karl-Heinz Bassy
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