Vor 100 Jahren: Landespräses Dr. Walther Wolff initiiert neue Kirchenverfassung

Als Ende August 1923 die rheinische Provinzialsynode in Barmen zusammenkam, hatte der Landespräses Walther Wolff vorher für jeden der 132 Synodalen freies Mittag- und Abendessen und ein Tagegeld von 500.000 Mark pro Person zugesichert. Es war die Zeit der Hyperinflation, in der im September bereits in Millionen Mark gerechnet werden musste. Das Ergebnis der Synodalberatungen war eine neue Kirchenverfassung, die am 1. September 1923 von der rheinischen und der westfälischen Landeskirche beschlossen wurde und die alte Kirchenordnung von 1835 ablöste.

Walther Wolff war am 9. Dezember 1870 als Sohn des evangelischen Volksschullehrers Friedrich Wolff und seiner Ehefrau Bertha Schüßler in Neuwerk zur Welt gekommen. Nach dem Besuch der evangelischen Volksschule an der Engelblecker Straße wechselte er 1880 auf das Stiftisch-Humanistische Gymnasium in M.Gladbach, wo er 1889 das Abitur ablegte. In Greifswald, Marburg und Halle studierte er evangelische Theologie mit dem Ziel des Pfarramtes. Nach dem Vikariat und der Ablegung der beiden theologischen Prüfungen im Soester Predigerseminar war er zunächst als Hilfsprediger in seiner Gladbacher Heimatgemeinde tätig. In seine erste Pfarrstelle wurde er von der Gemeinde Otzenrath berufen, wo er von 1895 bis 1901 wirkte. Dort schloss er 1896 die Ehe mit Elisabeth Metzner aus Halle. Aus der Ehe gingen die Kinder Martin, Walther und Hanna hervor. 1901 wurde er zum Pfarrer der Aachener Christuskirchengemeinde berufen, wo er bis zu seinem Tode 1931 im Pfarramt blieb.

In der Pfarrerschaft der rheinischen Kirchenprovinz hatten sich seit Ende des 19.Jahrhunderts Strömungen gebildet, die konträre Auffassungen über Aufgaben und Ziele der Kirche vertraten. Wolff versuchte zwischen dem konservativen Lager und dem fortschrittlich-liberalen Teil der Pfarrerschaft zu vermitteln. Zwischen 1905 und 1909 schloss er sich der Mittelpartei der „Evangelischen Vereinigung“ an. Er war Herausgeber der Zeitschrift „Die Evangelische Gemeinde. Monatsschrift der Evangelischen Vereinigung für Rheinland und Westfalen“. Ab 1908 engagierte er sich im „Evangelischen Bund“, der sich für die Interessen der Protestanten im Deutschen Reich einsetzte, betont antirömisch war und die Allianz von Thron und Altar vertrat. 1913 gründete er einen Zweigverein des Evangelischen Bundes in Aachen. 1914 wurde er zum Mitglied der rheinischen Provinzialsynode gewählt, die ihn als Vertreter zur preußischen Generalsynode delegierte. Ab 1923 übte er das Amt des Superintendenten im Kirchenkreis Aachen aus.

Nach dem Ersten Weltkrieg wurden die Niederlage und das Ende des Kaiserreiches von der protestantischen Pfarrerschaft als schwere göttliche Prüfung empfunden. Auf der ersten Provinzialsynode nach dem Krieg Anfang März 1919 in Barmen wurde Walther Wolff zum neuen Landespräses gewählt. Sein unterlegener Mitbewerber war der Superintendent des Gladbacher Kirchenkreises, Pfarrer Johannes Döring aus Rheydt, der seit 1913 als Herausgeber der „Kirchlichen Rundschau“, das Lager der Konservativen vertrat. In den zwölf Jahren seiner Amtstätigkeit modernisierte und reformierte Wolff die rheinische Landeskirche. Gegenüber dem demokratischen Weimarer Staat, mit dem sich viele seiner Amtsbrüder schwertaten, vertrat er einen konservativen, aber pragmatischen und kooperativen Kurs. Besonders die Arbeit der Frauenvereine wurde von ihm gefördert. Er richtete einen Dauerausschuss für Frauenarbeit auf Landesebene ein, dessen Leitung er selbst übernahm. Das aktive und passive kirchliche Frauenwahlrecht wurde in seiner Amtszeit von ihm durchgesetzt. Ein Vikarinnengesetz ermöglichte Frauen erstmals die Ausübung geistlicher Ämter. In den Gemeinden entstanden evangelische Jugend- und Wohlfahrtsämter, die mit den kommunalen Behörden zusammenarbeiteten. Berufliche Tätigkeiten für Frauen in der kirchlichen Verwaltung und als Wohlfahrtspflegerinnen wurden geschaffen. Funktionspfarrstellen entstanden, z.B. im Bereich der Arbeitswelt. Neu waren die von Wolff organisierten rheinischen Kirchentage, die als große evangelische Erlebnisgemeinschaft organisiert waren. 1924 kamen 30.000 Teilnehmer in Köln zusammen. Auch 1926 in Essen und 1930 in Saarbrücken war die Resonanz ähnlich groß. Für Wolff war die selbständige Gemeinde die Basis einer Kirche von unten. Presbyterien und Synoden sollten die vorrangigen Entscheidungsträger sein. Er trat für größtmögliche Unabhängigkeit der Kirche gegenüber staatlichen Eingriffen ein. Die Rechte der Provinzialsynode und des Landespräses stärkte er organisatorisch deutlich gegenüber der preußischen Kirchenbehörde in Berlin, die durch den Generalsuperintendenten und das Konsistorium repräsentiert wurde. Der rheinische Provinzialkirchenrat wurde zu einer Dauereinrichtung, die gemeinsam mit den Vertretern der preußischen Kirchenbehörde Entscheidungen traf.

In der preußischen Generalsynode und im Kirchensenat übte Wolff das Amt des stellvertretenden Vorsitzenden aus. Er war stellvertretender Präsident des Deutschen Evangelischen Kirchentages und dadurch Mitglied im Synodalvorstand des neuen Kirchenbundes. Er bejahte die Vielfalt des 1922 neu gegründeten „ Deutschen Evangelischen Kirchenbundes“, dem 28 Teilkirchen mit unterschiedlichen Bekenntnissen angehörten. Eine Uniformierung durch eine deutsche Reichskirche lehnte er kategorisch ab. Viele Anregungen Wolffs zur Modernisierung der Kirche wurden erst in den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg umgesetzt. Auf der ersten Versammlung der Ökumenischen Weltkonferenz der Evangelischen Kirchen in Stockholm im August 1925 vertrat er zusammen mit dem Generalsuperintenden Klingemann eindrucksvoll die deutsche Kirche. Die Universität Bonn verlieh ihm den Ehrendoktortitel der Theologie, von der Universität Berlin wurde ihm die juristische Ehrendoktorwürde zuerkannt. Wolff war eine der prägenden Gestalten des Protestantismus in der Zeit der Weimarer Republik.

Walther Wolff verstarb am 26. August 1931 in Aachen, wo er auch bestattet wurde. Sein Grab besteht heute nicht mehr. Die Stadt Mönchengladbach hat zu seinen Ehren eine Straße im Stadtteil Windberg-Großheide nach ihm benannt.

Lothar Beckers

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