„Wo wohnst du?“ fragten Jesus damals neugierig zwei Jünger Johannes des Täufers. Johannes hatte sie auf Jesus aufmerksam gemacht, hat ihr Interesse geweckt. Und Jesus lädt sie zu sich nach Hause ein: Kommt und seht! Die Bibel berichtet: Sie gingen mit, sahen, wo er wohnte und blieben den ganzen Tag bei ihm. Am Ende des Tages wurden die beiden zu Jüngern Jesu. Von einem wissen wir sogar den Namen: es ist Andreas. Was machte man damals den ganzen Tag gemeinsam? Vor dem Fernseher auf der Couch waren sie gewiss nicht. Wir können davon ausgehen, dass sie sich ausgiebig unterhalten haben, miteinander gegessen haben und ausreichend Muße hatten, allen Fragen, die die beiden hatten, auf den Grund zu gehen.
Kommt und seht! Das ist für uns vielleicht in diesen kontaktarmen Zeiten eine Erinnerung daran, sich nicht voreinander zu verstecken, sondern Begegnung und sondern das Gespräch mit anderen zu suchen, ohne Streit und Eifer, aber mit der nötigen Zeit, einander zuzuhören und miteinander im Gespräch zu bleiben. Es ist dringend notwendig.
Viele Fragen müssen in diesen Tagen gelöst werden in unserer Gesellschaft, Fragen des Zusammenlebens und der nächsten Schritte, die wir als Gesellschaft gemeinsam gehen müssen. Aber unsere Gesprächskultur hat in den letzten Jahren leider ziemlich gelitten. Es gibt zu viele, die sich in ihren eigenen Wahrheiten eingeigelt haben. Wir waren oft zu lange allein mit uns in kontaktarmer Zeit. Aber es gibt gewiss auch eine Arroganz der Mehrheit, nicht auf andere Stimmen zu hören. Es gibt im Moment leider auch nicht mehr viele öffentliche Orte, wo dieses Gespräch hier vor Ort gepflegt wird. Das eigene Haus kann für jeden von uns so ein Ort sein. Die Gemeinde muss auch ein Ort des Dialogs bleiben oder werden. Die Gefahr besteht, dass wir die Kultur des Gesprächs, auch des Streitgesprächs, zu verlieren drohen, wenn wir die Orte nicht mehr schaffen.
Ich beobachte, wie wir langsam verlernen, Widersprüche auszuhalten, miteinander nach Konsensen zu suchen und die besten Wege zu finden, auch wenn es mühsam ist. Gewiss: Viele Menschen sind der Auseinandersetzungen müde. Aber dennoch bleibt der alte Grundsatz gültig, den wir heute zum Teil wieder neu buchstabieren müssen: Audi partem alteram! Höre immer auch die andere Seite! Bleibe im Gespräch und in der Auseinandersetzung. Und nicht nur Konsense in unseren gesellschaftlichen Streitfragen, auch der Glaube vermittelt sich am besten im Gespräch. Jesus nahm sich Zeit zu Hause und die beiden Jünger des Johannes wurden überzeugt: Er ist es! Jesus sprach beständig mit seinen Jüngern, wenn sie unterwegs waren. Und eine Kirche, die relevant für viele sein möchte, muss das Gespräch pflegen.
Kommt und seht! Das lädt uns dieses Jahr wieder ein, Zeit miteinander teilen, miteinander zu sprechen, aneinander Anteil zu nehmen, sich zu zeigen, miteinander unterwegs zu sein, eine gute konstruktive Streitkultur zu pflegen, vom Glauben miteinander zu erzählen. Und dafür die richtigen Orte und Anlässe zu schaffen. Als Christen, Bürger, Menschen.
Pfarrer Till Hüttenberger