Jesus antwortete: Ich sage euch: Wenn diese schweigen werden, so werden die Steine schreien. (Lukas 19,40)

Können Steine schreien? Wohl eher nicht. Es fehlen ihnen einfach die Voraussetzungen dafür. Kehlkopf, Atemapparat und Ansatzrohr, also der Rachen-, Mund- und Nasenraum, sind nicht vorhanden. Steine machen nicht mal Piep. Und sie schreien erst recht nicht.

Es sei denn, die Steine wäre rollende Steine, also Rolling Stones. Mick Jagger als Frontmann der weltberühmten Band konnte das und kann es noch immer, wenn auch mit etwas brüchig gewordener Stimme: schreiend singen, singend schreien. I can’t get no – satisfaction.

Steine können also doch schreien. Aber das ist natürlich bildlich zu verstehen. Und es sind nicht nur Musiker, die mit sprachbildender Kunst auf einen Bandnamen kommen. Auch ganz handfeste Mineralien können sich laut und vernehmlich äußern, nämlich für den, der einen Sinn dafür hat. Der Sinn muss nicht das Ohr sein. Oft nimmt das Auge wahr, wie Steine schreien und ihre eigene Botschaft haben.

Häuserruinen sprechen zum Beispiel ihre eigene Sprache. Ruinen, die von Hass und Krieg und Gewalt lautstark erzählen. Vor 80 Jahren fing in Deutschland an, dass zerstörte Städte das Leid zum Himmel schrien. So richtig begonnen hatte der Terror mit den Bombenangriffen der deutschen Luftwaffe auf die englische Stadt Coventry.

Acht Jahrzehnte später sind die Folgen etwa im Mönchengladbacher Stadtbild noch immer zu sehen. „Zahnlücken“ werden die eingeschossigen Gebäude genannt, die zwischen den höheren Häusern an der Hindenburgstraße stehen. Die meisten von diesen Gebäuden wurden nach dem Krieg schnell auf Schutt und Trümmern errichtet. Wie wohl die kriegszerstörten Städte unserer Tage einmal aussehen werden? Damaskus? Aleppo?

An anderes Leid in dunkler Zeit erinnern andere Steine. Stolpersteine nennt der Kölner Künstler Günter Demnig die Gedenktafeln aus Messing mit einer Kantenlänge von zehn Zentimetern. Sie sind auf dem Gehweg eingelassen und erinnern an Opfer des Nationalsozialismus vor deren letztem Zuhause. Auch in unserer Stadt sind diese Stolpersteine verlegt. Keine Ruinenlandschaft, doch auch diese Steine mahnen massiv. Wer Augen hat zu sehen, der sehe. Und wer Ohren hat zu hören, der höre.

Aber wir merken: wenn Steine schreien müssen, ist eigentlich schon alles zu spät. Und es wäre besser gewesen, rechtzeitig auf menschliche Stimmen zu hören. Versöhnliche Stimmen. Begütigende Stimmen. Aber die sind mundtot gemacht worden. Und das Unheil nahm seinen Lauf.

Mundtot gemacht werden sollten auch die, die Jesus zujubelten. Auf einem Esel war er eingeritten, in die heilige Stadt. Ein König kam hier in Jerusalem des Wegs. Aber ein König, der von einem Esel transportiert wurde und nicht auf dem hohen Ross saß? Schon dieses Detail ließ die Beobachter der Szene den Kopf schütteln. Und nicht nur das: den Beobachtern kam der Jubel verdächtig vor. Was war da noch alles zu erwarten, wenn hier einer das Gewohnte auf den Kopf stellte – und die Menschen ihm obendrein applaudierten?

Die misstrauischen Beobachter hatten etwas zu verlieren. Und das war ziemlich viel, nämlich ihren Glauben. Sie kannten sich ja bestens aus mit Gottes Willen. Und so verlangten „einige von den Pharisäern in der Menge: Meister, weise doch deine Jünger zurecht!“

Jesus antwortete: Ich sage euch: Wenn diese schweigen werden, so werden die Steine schreien.

Wenn Christen auf Jesus zu sprechen kommen, möchten sie sich nicht den Mund verbieten lassen. Für den christlichen Glauben gehört der Jubel einfach dazu. Kehlkopf, Atemapparat und Ansatzrohr sind in vollem Einsatz, wenn Menschen im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes beieinander sind. Der Lobgesang muss einfach sein. Das ist wegen der Pandemie zur Zeit kaum möglich. Aber ich tröste mich mit der Vorstellung, dass die Wände des Gotteshaues von Gebeten und Gesängen durchdrungen sind: heilsame Spuren, die die Generationen vor uns in Steinen hinterlassen haben

Ja, Steine können auch eine gute Nachricht in die Welt hinausrufen. Einer dieser Steine mit der guten Nachricht, dem Evangelium, war übrigens ein rollender Stein. Zuerst wussten die Frauen nicht, wie sie diesen schweren rolling stone  wegkriegen sollten, der das Grab Jesu verschloss. Aber als sie am Ostertag sehr früh zum Felsengrab kamen, da war der Stein schon weggewälzt. Und sie hörten: „Was sucht ihr den Lebenden bei den Toten? Er ist nicht hier, er ist auferstanden.“

Pfarrer Werner Beuschel

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