Versöhnung! Wie schwer fällt es oft, nach einem Streit, einer Tat, einer Schuld sich zu versöhnen mit anderen, miteinander, mit sich selbst. Manchmal kann man selbst nicht über seinen Schatten springen, manchmal kann es der andere nicht. Es gibt Brüche, Verletzungen und Lasten, die man unversöhnt durchs Leben trägt. Aber wie heilsam, wie befreiend ist es, wenn es doch gelingt.
Wie wunderbar ist es eigentlich, dass es eine Beziehung in unserem Leben gibt, die zumindest von einer Seite als geklärt, versöhnt, geheilt bezeichnet werden kann. Ich meine unsere Gottesbeziehung. Aus schlichtem Grund. Gott hat sie selbst ins Reine gebracht.
Allerdings erlebe ich oft, dass das noch gar nicht überall angekommen ist. Viele, die ich kenne, sind noch mit der Maßgabe aufgewachsen, dass wir im Leben durch unser Tun und Lassen Gott immer wieder gnädig und milde stimmen müssen. Dass es Gott ist, der grollt und der durch uns versöhnt werden muss.
Allen Grund dazu hätte Gott. Wenn ich vor meinem inneren Auge versuche, die Welt einmal mit Gottes Augen zu betrachten, ist die Erkenntnis schmerzhaft: Was muss Gott alles sehen, wenn er den Menschen und seine Welt sieht, damals wie heute? Gewalt und Unterdrückung, Lieblosigkeit und Egoismus, Leid und Ausbeutung von Mensch, Tier und Umwelt. Und dazwischen immer wieder einzelne Lichtfunken, zu wenige leider, aufs Ganze gesehen.
Schon die Bibel erzählt in unzähligen Geschichten, wie Gott immer wieder Anläufe nimmt, uns auf den rechten Weg zu führen. Meist ohne langfristige Erfolge, weil alle Bekenntnisse, es von nun an anders zu machen, an des Menschen Gewohnheit scheitert, wieder in alte Muster zu fallen. Also, allzu gut stehen wir vor Gott nicht da, wenn wir ehrlich sind.
Gott hätte also schon eine Menge Grund, enttäuscht zu sein vom „Werk seiner Hände“. Das wäre er auch gewiss, wenn er nicht Gott wäre, wenn er nicht selbst „über seinen Schatten gesprungen“ wäre und die Welt mit sich versöhnt hätte. So erkannte Paulus den menschgewordenen Gott am Kreuz. Und er erkannte darin einen revolutionären Umsturz aller bis dahin geltenden Gottesbeziehung, der alles verwandeln kann, uns selbst uns unseren Zugang zur Welt, in der wir leben. Nicht wir können und sollen Gott versöhnlich stimmen. Dazu sind wir gar nicht fähig genug. Gott selbst es selbst, der in Christus die Welt mit sich versöhnt hat.
Warum? Es ist das Geheimnis einer Liebe, die nicht zu lieben aufhört, selbst wenn das Gegenüber zur Liebe oft nicht fähig ist. Das Geheimnis einer Liebe, die nicht aufhört zu versiegen, damit wir ein Leben lang davon neue Kraft schöpfen können als geliebt-gestärkte Gotteskinder. Das Geheimnis einer Liebe, die sich hingibt für das Leben, für uns, für die Welt. Die gerade dadurch, Vorbild, Kraft und auch Lust schenkt, sich auch selbst immer wieder neu aufzumachen, nicht zu resignieren und zu versuchen im Vertrauen auf diesen liebenden Gott an unserer Seite die Welt zum Leuchten zu bringen. Gerade auch, wenn wieder einmal, wie in diesen Tagen, Krisengefühl und Angst, Streit und Feindseligkeit unsere Welt erschüttern, nicht zum ersten Mal, nicht zum letzten Mal. Von Gott her haben wir nichts zu fürchten, aber es ist ein langer Weg, das auch wirklich mit Kopf und Herz, Tat und Seele zu begreifen.
Pfarrer Till Hüttenberger