Wozu eigentlich das Ganze? – haben Sie sich das auch schon mal gefragt? Wozu die ganze Rennerei, das Engagement, der Einsatz und die unbezahlten Überstunden? Wozu Sparen, wenn das Geld sowieso keine Zinsen bringt und wozu der Verzicht, damit man sich etwas leisten kann, wenn doch Amazon und Co alles auch „auf Pump“ liefern? Wozu legt man sich krumm – es dankt einem doch sowieso niemand?!
Wie oft habe ich das gehört! – Zu oft, wenn die Gesundheit wegbrach: Dass Menschen sich fragten, wofür sie gelebt haben. Und was sie von der ganzen Plackerei nun hätten? Wie oft habe ich das gehört! – Zu oft, wenn Menschen erkennen mussten, dass sie jahrelang im Hamsterrad (oder gar der „Mühle“) waren, treu und fleißig ihre Pflicht (wem gegenüber?) erfüllt hatten – und doch innerlich langsam und beinahe unmerklich verhungert und verdurstet sind.
Du schuftest und rennst und am Ende bleibt Dir nicht viel. Und oft so wenig, dass Du kaum über die Runden kommst.
Haggai, von dem der Monatsspruch stammt, lebte ziemlich genau 520 vor Christus in Jerusalem. Seine Zeitgenossen schimpfen über wirtschaftliche Schwierigkeiten und dass es nicht so richtig aufwärtsginge im Staate Israel, obwohl der große Krieg längst vorbei und die diesem folgende, ebenfalls große, Krise überwunden waren – oder eben: sein sollten! Er legt den Finger in die Wunde: Tempelbau (der lag in Trümmern) ist kein Luxus! Der Mensch lebt nicht von Brot allein! Man kann alles haben, wenn Herz und Seele leer sind, hungert, dürstet und friert der Mensch! Und dann stellen sich nolens volens Probleme ein: Wohlstandsverwahrlosung. Wirtschaftlicher Niedergang. Die Gesellschaft bricht auseinander. Die Menschen werden seelisch krank. – Wem das jetzt bekannt vorkommt… – Vielleicht ist die Idee mit der „säkularen Gesellschaft“ doch nicht der Weisheit letzter Schluss…
Eine gesunde, lebendige Gottesbeziehung ist wichtig für ein Leben, für ein Volk, für ein Land, für die Welt! Und ja: das klingt fundamentalistisch und ist es auch, weil es um Fundamentales geht: Wenn mein inneres Koordinatensystem verrutscht ist, wenn mein Vertrauen ins Leben, in Gott, in Welt und Mitmenschen, in Himmel und das Gute verlorengegangen ist, wenn ich meine Tage nur noch aneinanderreihe und von Event zu Event hopse, dann bin ich zwar ganz aktiv, aber innerlich leer oder gar ausgebrannt; und spüre vielleicht meine seelisch-geistigen Mangelerscheinungen gar nicht mehr; jedenfalls solange ich „aktiv“ bin und bleibe und alles rundläuft. Dann kenne ich unzählige „nette Leute“, habe aber keinen wahren Freund oder keine wahre Freundin. Wenn ich alle liebe, liebe ich niemanden wirklich tief. Wenn ich innerlich nicht zur Ruhe komme (ich nenne das gerne „Tempelzeit“), mein Leben nicht unter dem Blick meines Schöpfers (der, der es mir einmal anvertraut hat!) anschaue, kann ich mich ganz schnell verlieren. Ich gleiche dann einem Surfer, der plötzlich in eine Flaute kommt. Bloß nicht nachdenken! Bloß nicht tief empfinden! Bloß weitermachen, aktiv sein, „turne bis zur Urne“… der gutgemeinte Spruch kann zum Fluch werden
Ja, ich plädiere für eine Kultur der Nachdenklichkeit. Gerade nach allem, was hinter uns liegt. Ich plädiere für „Tempelzeiten“, ganz persönlich, gesellschaftlich und politisch in diesem nicht immer „schönen“ Wahlkampf und dem, was gerade weltweit geschieht. Wie oft gleicht eine Diskussion einer verbalen Schlammschlacht, in der die Argumente tief in persönliche Bereiche geschossen werden. Schlagworte werden einander um die Ohren gehauen, zugehört wird nur wenig. Sagt man etwas, steht man in irgendeiner politischen Ecke (in die man gar nicht passt), hat man den falschen Umgang, ist man sofort gezeichnet. So driften wir auseinander! Haggai mahnt, den Tempel neu zu bauen. Einen Ort und eine Zeit einzurichten, in der Gottes Nähe spürbar wird: Was hülfe es dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewönne und nähme doch Schaden an seiner Seele, fragte Jesus einst (Mt. 16,26). Und der Prophet weiß: Wer an seiner Seele Schaden hat, dem nützt aller Reichtum nichts, dem geht letzten Endes auch dieser flöten. Schärfer als Haggai kann man eigentlich nicht fragen: Wofür lebst Du? – und antworten wir nicht zu schnell…
Gottes Segen Ihnen, unserem Land, seiner Welt.
Pfarrer Dr. Karl-Heinz Bassy