„Wir müssen uns mit der Wahrheit auseinandersetzen, dass die Welt schlechter geworden ist.“ Das hat jetzt einer im Fernsehen gesagt, der es wissen muss. Gesagt hat das nicht der Bundeskanzler oder die Außenministerin. Gesagt hat das der Gesundheitsminister. Und zwar nicht innerhalb der letzten Woche, sondern vor mehr als zwei Wochen.
„Wir müssen uns mit der Wahrheit auseinandersetzen, dass das Virus nicht mehr weggehen wird“, sagte Karl Lauterbach bei Anne Will. Und deshalb sei die Welt schlechter geworden.
Seit Tagen nun merken wir, dass die Welt auch in anderer Hinsicht schlechter geworden ist. Der Krieg in der Ukraine macht fassungslos. In Europa fällt ein Land über ein anderes her, ein Bruch des Völkerrechts, ein Verbrechen, das zum Himmel schreit. Ein eiskalter Machthaber im Kreml, der Menschen in den Tod schickt und den freiheitlichen Demokratien unverhohlen mit Massenvernichtungswaffen droht. Es ist zum Fürchten. Und ein großer Jammer. In der Ukraine werden auch in dieser Stunde zahllose Menschen Opfer der Gewalt.
Es ist ein Zeichen der Hoffnung, dass es Widerstand wie nie gegen den Aggressor gibt. Selten einig sind sich die demokratischen Staaten in Europa und die Partner im transatlantischen Bündnis. Und was in Parlamenten beschlossen wurde, findet seinen Widerhall auch auf den Straßen. Karnevalsumzüge wurden zu Friedensdemonstrationen, und zu diesen großen Protestkundgebungen kamen und kommen die vielen kleineren auf den Plätzen in unserem Land.
Ein Zeichen der Hoffnung, und hoffentlich werden diejenigen dadurch ermutigt, die es jetzt am dringendsten brauchen. Nämlich die, die jetzt unter Einsatz ihres Lebens ihr Land verteidigen.
„Wir müssen uns mit der Wahrheit auseinandersetzen, dass die Welt schlechter geworden ist.“ Ja, das stimmt. Und diese Auseinandersetzung kann einen auch verstören. Zum Beispiel auch mich, der beigebracht wurde, es gebe ja gar keine Feinde. Sondern nur Feindbilder. Und wenn mit Luthers Reformationschoral vom „altbösen Feind“ die Rede war, so wurde darüber singend hinweggemurmelt.
Aber es kann ja einen auch stark machen, die Wirklichkeit so zu sehen, wie sie ist. Vielleicht ist das Zusammenstehen jetzt auch eine Folge der Erfahrungen eines zweijährigen Kampfes gegen die Pandemie. Wer gelernt hat, dass jeder seinen Beitrag leisten kann, um vulnerable Gruppen, also besonders verletzliche Menschen zu schützen, der lässt sich auch jetzt nicht bange machen.
Ja, bange machen gilt nicht. Und genau deshalb beten wir auch. Der Bibelvers für diesen Monat März heißt: Hört nicht auf zu beten und zu flehen! Betet jederzeit im Geist; seid wachsam, harrt aus und bittet für alle Heiligen. (Epheser 6,18)
Bittet für alle Heiligen! Und Heilige sind für die Bibel nicht etwa religiöse Spezialisten, sondern alle Menschen, die zu Gott gehören. Die an Leib und Leben bedroht sind, legen wir Gott ganz besonders ans Herz. Zum Beispiel mit den Worten des alten Chorals: „Verleih uns Frieden gnädiglich, Herr Gott zu unsern Zeiten, es ist ja doch kein andrer nicht, der für uns könnten streiten.“
Pfarrerin Annette Beuschel
Diese Ansprache war Bestandteil einer Friedensandacht in der Evangelischen Christuskirche am 2. März 2022.