Bilke Epperleins Predigt zum Sonntag Lätare

Für den Sonntag Lätare (22. März 2020) war Bilke Epperlein für den Predigtdienst in Ohlerfeld vorgesehen. Dieser Gottesdienst findet wegen der Corona-Pandemie nicht statt. Hier kann man nun die ausgearbeitete Predigt der Prädikantin lesen.

Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns allen. Amen.

Liebe Gemeinde,

heute haben wir den Sonntag mit dem lateinischen Namen „Laetare“, das heißt: „Freut euch!“ Dieses Wort wird in diesem Jahr nicht nur in die Mitte der Passionszeit hinein gesprochen, die ja im Kirchenjahr eine ernste Zeit der Vorbereitung auf  Karfreitag und Ostern ist, eine Zeit der Besinnung und des Innehaltens. In diesem Jahr erleben wir den Sonntag Lätare in einer Situation, wie wir sie nie erlebt haben und wie unsere Welt sie noch nicht gesehen hat. Unser Leben, unser Tun und Lassen werden ganz und gar von der Furcht vor dem Corona-Virus bestimmt. Schulen und Kitas wurden geschlossen, ebenso andere öffentliche Einrichtungen; Unterhaltung und Freizeitvergnügen finden nicht statt. Das öffentliche Leben steht fast still; wir müssen auf  Distanz zu unseren Mitmenschen gehen und große Vorsicht walten lassen, um die weitere Ausbreitung des Virus zu verlangsamen. „Lätare – freut euch!“ Das fällt in diesem Jahr besonders schwer.

         Warum hat dieser Sonntag in der Passionszeit diesen erstaunlichen Namen? Er stammt aus dem Text der Schriftlesung aus Jesaja: „Freut euch mit Jerusalem!“ Dieser Text steht im letzten Kapitel des Buches Jesaja und beschreibt so etwas wie eine hoffnungsvolle Zukunftsvision für Jerusalem, das erobert worden war. Ein großer Teil seiner Bewohner war nach Babylon ins Exil verschleppt worden, und sie konnten erst nach Jahrzehnten wieder zurückkehren – wenn es denn noch dieselben waren, die zurückkehrten, und nicht ihre Kinder und Enkel. Nach Jahrzehnten des Exils finden also Menschen „ihre“ Stadt wieder, um die sie lange getrauert hatten. Das ist eine große Freude, allerdings in einer schweren und mühevollen Zeit des Aufbaus. Ich denke, die Menschen in Jerusalem damals konnten jede Ermutigung brauchen, und der Prophet legte seine ganze Leidenschaft und Sprachgewalt in seine Worte und Bilder, um die Freude der Menschen zu beleben und neu erblühen zu lassen. Sie sehen: „Freut euch“ muss besonders dann gesagt werden, wenn es schwer fällt, sich zu freuen!

         Mit dem Predigttext aus dem Johannesevangelium wenden wir uns einer anderen Zeit zu. Wir erfahren, dass Jesus und seine Jünger nach Jerusalem gekommen sind, um dort das Passahfest zu feiern. Viele andere Pilger haben sich ebenfalls auf den Weg gemacht. Wir lesen aus Kapitel 12 die Verse 20-26 (Bibel: Hoffnung für alle).

Unter den Festbesuchern waren auch einige Griechen. Sie kamen zu Philippus, der aus Betsaida in Galiläa stammte, und baten ihn: „Herr, wir möchten Jesus kennen lernen!“ Philippus sprach mit Andreas darüber, dann gingen sie gemeinsam zu Jesus.

Er sagte ihnen: „Die Stunde ist gekommen. Jetzt soll der Menschensohn gerühmt und geehrt werden. Ich sage euch die Wahrheit: Ein Weizenkorn, das nicht in den Boden kommt und stirbt, bleibt ein einzelnes Korn. In der Erde aber keimt es und bringt viel Frucht, obwohl es selbst dabei stirbt. Wer an seinem Leben festhält, wird es verlieren. Wer aber sein Leben loslässt, wird es für alle Ewigkeit gewinnen. Wer mir dienen will, der soll mir folgen. Denn wo ich bin, soll er auch sein. Und wer mir dient, den wird mein Vater ehren.“

Ob die griechischen Festbesucher solche Worte von Jesus erwartet haben? Was waren ihre Vorstellungen? Wir erfahren es nicht, auch nicht in den folgenden Textabschnitten. Offenbar hat es immer Angehörige anderer Völker gegeben, die dem Glauben der Juden nahestanden und weitgehend ihre Gesetze befolgten. Hier erleben wir nun Griechen, die zu Jesus kommen wollen, und die sich deshalb an Philippus wenden, einen Jünger, der einen griechischen Namen trägt. Gemeinsam mit Andreas – dessen Name ebenfalls griechisch ist – gehen sie dann zu Jesus. Und Jesus reagiert so, dass man merkt: Die Anwesenheit der griechischen Besucher ist ihm wichtig. Er sagt: „Die Stunde ist gekommen“, so als ob er ihre Ankunft erwartet hätte. Nun kann er das, was er zu sagen hat, vor Juden und Nichtjuden zugleich aussprechen. „Jetzt soll der Menschensohn gerühmt und geehrt werden.“ Jesus spricht von sich selbst. Aber wie wird man ihn rühmen und ehren? Jesus erklärt es mit dem Bild vom Weizenkorn, das in die Erde fällt, und es wird deutlich, dass er von seinem eigenen Tod spricht.

         Den meisten von uns würde es schwer fallen, vom eigenen Tod zu sprechen. Menschen, die in Erwartung ihres Todes wichtige Dinge mit ihren Angehörigen besprechen wollen, stoßen nicht immer auf offene Ohren. Viele wollen von diesem Thema nichts hören; sie können es nicht ertragen, sie möchten lieber Hoffnung auf  Leben haben und auch geben. Deshalb scheuen sich viele Menschen, von ihrem Tod zu sprechen.

         Ganz anders ist es bei Jesus. Er spricht von seinem Tod als von Ruhm und Ehre, auch „Verherrlichung“. Er spricht hier nicht von Qualen, Erniedrigung, Ungerechtigkeit und Schmerzen. Später wird Jesus auch von seiner Angst sprechen; aber hier will er allen sagen, was sein Tod bedeutet: nämlich Leben, so paradox das klingt. Jesus hat ein Bild aus der Natur gewählt, um deutlich zu machen, wie er das meint: Das Weizenkorn fällt in die Erde und stirbt. Aber dieses Sterben ist ein sehr lebendiger Vorgang, denn das Weizenkorn keimt, wächst und trägt Frucht, und nun ist mehr Lebendiges da als zuvor, nicht nur das einzelne Körnchen.

         Jesus will den Menschen, die ihm folgen und seine Nähe suchen, Mut machen. Ausgerechnet dadurch, dass er seinen Tod ankündigt? So ist es. Sie sollen die Wahrheit hören, dem Schmerz nicht ausweichen. Denn Jesus ist mehr als nur ein guter Freund; er ist der, der die Menschen zu Gott als dem Vater geführt hat. Und die Menschen, die Gott neu erfahren haben, sie können genauso auf andere Menschen zugehen und sie in die Gemeinschaft mit Gott holen. Das ist die reiche Frucht des kleinen Weizenkorns.

         „Wer an seinem Leben festhält, wird es verlieren. Wer aber sein Leben loslässt, wird es für alle Ewigkeit gewinnen.“ Dieses Wort hat sicher in der Vergangenheit vielen Trost gegeben, die um ihr Leben fürchten mussten, weil sie Christen waren. Und auch heute werden Christen in zahlreichen Ländern verfolgt und getötet, z. B. in Nordkorea, in Somalia, im Irak, in Afghanistan, Pakistan und Indien. Bei Gott sind und bleiben sie lebendig. Dennoch ist dieses Wort schwer zu verstehen.  Sollten wir unser Leben loslassen? Sollten wir nicht daran festhalten? Ist es nicht das Kostbarste, was wir haben? Wie kostbar es ist, wird uns in dieser Zeit unter dem Corona-Virus noch stärker bewusst, durch das unser Leben sich so stark verändert. Notgedrungen verzichten wir auf vieles, was wir eigentlich gern tun und was durchaus zu unserem Leben gehört: ein Restaurant besuchen, Kino oder Theater, ein Fußballspiel, eine Kirmes, ein unbeschwerter Stadtbummel … Aber: das ist nicht unser Leben, es hat nur dazugehört. Schlecht dran sind die, die weiterhin darauf bestehen: „Fußball ist unser Leben!“ Fußball, oder was immer wir an die Stelle setzen, kann nicht alles sein. Wir sollten die Erwartungen bedenken, die wir für unser Leben haben, und sie im Blick auf dieses Wort Jesu überprüfen. Müssen wir an allem festhalten, was wir seit jeher vom Leben erwartet haben? Oder tut es uns gut, mal etwas davon loszulassen, und anders zu leben? Vielleicht ist diese Krise in mancher Hinsicht eine Chance. Was will ich tun, was soll ich tun?

         Jesus sagt hier: „Wer mir dienen will, der soll mir folgen. Denn wo ich bin, soll er auch sein. Und wer mir dient, den wird mein Vater ehren.“ Dienen heißt ja, sich unterordnen, die eigenen Wünsche zurückstellen. Jesus verlangt das ausdrücklich nicht; er stellt es uns frei. Es ist unsere Entscheidung, ob wir ihm dienen wollen. Es ist eine Entscheidung für ein erfülltes Leben, das wir gewinnen, indem wir manches loslassen. Lesen Sie, was Mutter Teresa über das Leben schreibt:

Was das Leben ist

Leben ist eine Gelegenheit – nutze sie!

Leben ist Schönheit – bewundere sie!

Leben ist Wonne – koste sie!

Leben ist Traum – verwirkliche ihn!

Leben ist eine Herausforderung – stell dich ihr!

Leben ist Pflicht – leiste sie!

Leben ist eine Reise – vollende sie!

Leben ist ein Spiel – spiel es!

Leben ist teuer – schätze es!

Leben ist Reichtum – bewahre ihn!

Leben ist Liebe – genieße sie!

Leben ist ein Geheimnis – lüfte es!

Leben ist ein Versprechen – erfülle es!

Leben ist Leid – überwinde es!

Leben ist ein Lied – sing es!

Leben ist ein Kampf – nimm ihn an!

Leben ist eine Tragödie – sei gefasst!

Leben ist ein Abenteuer – wage es!

Leben ist Leben – erhalte es!

Leben ist Glück – mach es!

Vergeude es nicht – es ist wertvoll!

Was Mutter Teresa schreibt, spricht von Glück und Lebensfreude, und doch hat sie Nachfolge und Dienst in ihrem Leben an die erste Stelle gesetzt und nicht an sich selbst gedacht. Für andere da sein, ihr Leben genauso hoch schätzen wie das eigene, das heißt: Leben gewinnen.

         So kann uns der Sonntag Lätare auch in dieser schwierigen Zeit bewusst machen, dass wir Grund zur Freude und Dankbarkeit haben, weil unser Leben ein kostbares Geschenk ist, das wir miteinander teilen (selbst auf Distanz). Gehen Sie zuversichtlich in die neue Woche und bleiben Sie gesund!

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, der bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.

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