Ludwig Weber – Pfarrer im Kaiserreich (Reihe:”Menschen und Steine”)

Am 29. Januar 1922 verstarb in Bonn Pfarrer Ludwig Weber, der von 1881 bis 1914 der Evangelischen Gemeinde M.Gladbach gedient hat. Der engagierte protestantische Sozialreformer war im Kaiserreich eine der markantesten Persönlichkeiten der Diakoniebewegung.

Ludwig Weber wurde am 2. April 1846 in Schwelm/Westf. als Sohn der Eheleute Carl und Emilie Weber geboren. In Marienwerder/Westpreußen, wo sein Vater Oberlandesgerichtsrat war, besuchte er das Gymnasium bis zum Abitur im Sommer 1863. Ab Herbst 1863 studierte er evangelische Theologie in Bonn. Im Sommer 1864 nahm er an der Jahresversammlung des Rheinischen Provinzialausschusses für Innere Mission teil, wo ihn ein Vortrag des konservativen Sozialreformers Viktor Aimé Huber über die soziale Lage der neuen Fabrikarbeiterklasse tief beeindruckte. Huber trat für gewerkschaftliche und genossenschaftliche Selbsthilfe, für ein Streikrecht, Mitbestimmung und Gewinnbeteiligung der abhängig Arbeitenden ein. In Berlin und Erlangen setzte Weber sein Studium fort, das er in Bonn mit der Promotion zum Lizentiaten der Theologie und dem Ersten Kirchlichen Examen abschloss.

Ostern 1870 trat Weber als Oberhelfer in das Berliner Johannesstift ein, eine Filialanstalt des „Rauhen Hauses“, wo er Johann Hinrich Wichern kennenlernte. Im Deutsch-französischen Krieg von 1870/71 wurde er in der Nähe von Koblenz mit der Leitung eines Kriegsgefangenenlagers beauftragt. Als Betreuerinnen waren ihm die katholischen „Barmherzigen Schwestern“ zur Seite gestellt worden, deren aufopferungsvolle Arbeit er mit höchstem Lob würdigte. Im Hause des Koblenzer Pfarrer Nieden, dem späteren Generalsuperintendenten der Rheinprovinz, lernte er dessen Tochter Charlotte kennen, die er am 24. Oktober 1872 heiratete. Aus ihrer Ehe gingen zwei Söhne hervor, von denen der ältere im Kindesalter verstarb, der jüngere, Hans Emil (1882-1950), seit 1912 Professor für Neues Testament und Systematische Theologie in Bonn war.

Nach Ablegung des Zweiten Kirchlichen Examens trat Weber eine Stelle als Hilfsprediger in der Industriestadt Iserlohn an. Sein Eintreten für die Industriearbeiter und seine Mahnungen zur sozialen Verantwortung an das Besitzbürgertum verärgerten einflussreiche Gemeindeglieder, die ihm Nähe zur Sozialdemokratie vorwarfen. Weber wechselte nach kurzer Zeit in die Pfarrstelle nach Dellwig/Ruhr, wo er Nachfolger von Friedrich von Bodelschwingh, dem Gründer der Anstalt Bethel, wurde. In Dellwig machte er sich einen Namen als reformfreudiger Pfarrer, der durch soziologische Studien und Flugschriften seine Vorschläge zur Lösung der sozialen Frage im Kaiserreich verbreitete. Die Kirche verstand er als „Gewissen des Volkes“, das sich mit Betteln um Almosen und Appellen zur Barmherzigkeit nicht zufriedengeben durfte.

Ende 1880 wählte die Gladbacher Gemeinde mit ihrem großen Industriearbeiteranteil den Sozialreformer Ludwig Weber in die neu geschaffene dritte Pfarrstelle. Am 30. März 1881 begann Weber seinen Dienst in der Stadt mit einer Antrittspredigt über 1. Kor. 1,30. Mit dem Spruch „Wem viel gegeben ist, von dem wird auch viel gefordert“, ermutigte er die Führungseliten in Stadt und Land, die er als „Haushalter Gottes“ definierte, zu sozialer Reformbereitschaft. Ab 1882 beteiligte sich Weber am Aufbau einer reichsweiten evangelischen Arbeiterbewegung. Im gleichen Jahr wurde in Bonn der „Verein für christliche Volksbildung“ von ihm mitgegründet, der die Arbeiter mit Informationsschriften unterstützte. 1889 gründete Weber den „Evangelischen Arbeiterverein“ seiner Gladbacher Gemeinde, der bis 1933 bestand. Sein Leitspruch für die Arbeiter lautete: „Gottes Kraft ist in den Schwachen mächtig!“ Verwahrlosungserscheinungen der Industriegesellschaft wollte Weber durch 1885 in Düsseldorf und 1889 in Hannover entstandene „Sittlichkeitsvereine“ entgegenwirken. Auf Reichsebene beteiligte er sich 1890 an der Gründung des „Evangelisch-Sozialen Kongresses“ in Berlin und 1897 in Kassel an der Gründung der „Freien Kirchlich-Sozialen Konferenz“. 1890 war Weber in Erfurt Mitgründer des Gesamtverbandes evangelischer Arbeitervereine, dessen Vorsitz er 1898 übernahm. 1899 unterstützte er die Gründung des Deutsch-Evangelischen Frauenbundes in Kassel. Die Gladbacher Gruppe des Frauenbundes betreute er gemeinsam mit seiner Frau Charlotte.

1903 kandidierte Weber bei den Reichstagswahlen für die konservative „Christlich Soziale Partei“ seines Freundes, des ehemaligen Berliner Hofpredigers Adolf Stoecker und erhielt in Rheydt 21,47% der Wählerstimmen. Weber trat für eine soziale Monarchie und einen sozialen Staat ein, der sich auf die biblischen Grundsätze von Recht und Gerechtigkeit stützen sollte. Die Sozialdemokratie lehnte er ebenso ab wie den vom Vatikan gelenkten katholischen Ultramontanismus. Mit den katholischen Sozialreformern des Gladbacher Volksvereins kam es bei gemeinsamen sozialen Anliegen zu interkonfessionellen Annäherungen. 1914 beantragte Weber nach 33 Dienstjahren in M.Gladbach seine Emeritierung und zog 1915 nach Bonn um.

Er wurde auf eigenen Wunsch am 1. Februar 1922 auf dem Evangelischen Friedhof am Wasserturm beigesetzt, wo ein Gedenkstein an ihn erinnert. 1946 benannte die Stadt M.Gladbach zum 100. Geburtstag Ludwig Webers eine Straße nach ihm. Ein vor wenigen Jahren errichtetes Seniorenzentrum des Diakonischen Werkes im Stadtteil Neuwerk trägt ebenfalls seinen Namen.

Lothar Beckers

                                                                                                                               

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