Karl Barthold – der erste Direktor der Anstalt Hephata

Foto: Helen Beckers

Zwischen den eindrucksvollen Grabanlagen der wohlhabenden Gladbacher Unternehmerfamilien liegt ein bescheiden wirkendes Familiengrab, in dem der erste Direktor der Anstalt Hephata Karl Barthold und seine Angehörigen ihre letzte Ruhestätte gefunden haben.

1857 hatte der Kaiserswerther Pfarrer Julius Disselhoff (1827-1896) eine Denkschrift verfasst, in der er dazu aufrief, Maßnahmen zur Förderung geistig behinderter junger Menschen in Angriff zu nehmen. Der Provinzialausschuss für Innere Mission in Langenberg und der evangelische Johanniterorden unterstützten eine vom Rheydter Pfarrer Franz Balke (1822-1889) zusammengebrachte Initiative evangelischer Pfarrer und Honoratioren aus Gladbach, Rheydt, Odenkirchen und Viersen bei ihrer Absicht, die erste Einrichtung für geistig behinderte Kinder im Königreich Preußen zu gründen.

Der Gladbacher Pfarrer Otto Zillessen (1811-1885) hatte im Herbst 1858 bereits bestehende Einrichtungen in Württemberg besichtigt und dabei den jungen Lehrer Karl Barthold (geb. 29.10. 1829) kennengelernt, der umfangreiche pädagogische Erfahrung in der Arbeit mit Taubstummen, Waisenkindern und geistig Behinderten hatte. Am 20. Februar 1859 trat Barthold sein Amt als erster Leiter der neuen Heil- und Pflegeanstalt im provisorisch eingerichteten ehemaligen Landratsamt auf der Viersener Straße 23 in M.Gladbach an. Barthold und seine Frau begannen ihre Arbeit zunächst mit vier Pfleglingen. Die Zahl der Heimbewohner stieg schnell auf 24 an. Bereits mehr als 100 Bewerbungen für einen Heimplatz lagen vor. Am 7. Juni 1859 beschloss der Verwaltungsrat unter dem Vorsitz der Pfarrer Balke und Zillessen, ein neues Anstaltsgebäude auf einem Gladbacher Grundstück an der Grenze zu Rheydt zu bauen. Zugleich bekam die Anstalt den Namen „Hephata“ – Öffne dich! nach dem Heilungswunder eines Taubstummen durch Jesus in Markus 7, 34. Das neue Haus auf großzügigem Gelände wurde ab 31. Mai 1860 nach Bartholds Angaben und den Plänen des Direktors der Berliner Charité, Geheimrat Dr. Esse, gebaut. Am 27. November 1861 begann Barthold seine Arbeit in der neuen Anstalt Hephata. Die Anstalt wuchs schnell und weitere Bauten waren in den folgenden Jahrzehnten nötig. Karl Barthold arbeitete selbst an den Bauplänen und kümmerte sich um die Finanzierung und den laufenden Unterhalt der neuen Häuser.

Barthold gab seiner Anstalt eine feste Ordnung, er bildete das Personal aus und entwickelte Lehrpläne für den Unterricht. Ausgangspunkt seiner pädagogischen Bemühungen war die Annahme, dass auch geistig schwer behinderte Kinder über einen Rest an schulischer Bildungsfähigkeit verfügen, den der Erzieher individuell eruieren und fördern muss. In kleinen Gruppen von 10-12 Kindern fand der Unterricht statt, für den Barthold Lehrmaterialien entwickelte, die in den folgenden Jahrzehnten weite Verbreitung fanden. Seine damals bahnbrechenden Bildungsmethoden wurden in anderen neu entstehenden Anstalten aufgegriffen, deren Gründungen er beratend begleitete. Er entwickelte u.a. ein Konzept eines geometrischen Formen- und Anschauungsunterrichts zur Förderung der visuellen Differenzierungsfähigkeit und des Abstraktionsvermögens. Barthold vertrat eine auf christlichen Werten basierende Erziehung zur Lebenstüchtigkeit, zu der neben der geistigen Ausbildung auch körperliche Arbeit und Spiel gehörte. 1874 gründete Barthold eine Konferenz für den Erfahrungsaustausch zwischen den Leitern ähnlicher Einrichtungen. Auf dreijährlich stattfindenden Tagungen wurden wichtige Impulse für die Entwicklung der Heil- und Sonderpädagogik gegeben. Als Vorsitzender der Konferenz wurde Barthold zum Wegbereiter der heutigen Förderschulen.

Bis 1865 waren auch epileptische Kinder in Hephata aufgenommen worden. Barthold stellte schnell fest, dass die Epileptiker und die geistig Behinderten in separaten Gruppen unterrichtet werden mussten. Die geistig Behinderten wurden irritiert durch die Anfälle der Epileptiker. Die Epileptiker waren in gemeinsamen Gruppen intellektuell unterfordert. Für die Förderung der epileptischen Kinder und Jugendlichen entstand 1867 auf Anregung Pfarrer Balkes und Karl Bartholds die Anstalt Bethel bei Bielefeld. Ab 1884 lebten in Hephata Pfleglinge aller Altersstufen und Behinderungsgrade. Bis 1897 waren auch geistig behinderte Mädchen und Frauen in Hephata untergebracht.

Viele Jahre war Barthold führendes Mitglied des Gladbacher Presbyteriums. Mit dem 18 Jahre älteren Pfarrer Otto Zillessen verband ihn eine enge Freundschaft. Am 4. November 1904 verstarb Karl Barthold, der 45 Jahre lang die Anstalt Hephata geleitet hatte. Eine riesige Trauergemeinde begleitete ihn auf seinem letzten Weg. Seit 1934 trägt die Förderschule der Anstalt seinen Namen. Die Stadt Mönchengladbach hat 1970 die zur Anstalt führende Straße nach ihm benannt.

Lothar Beckers

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