Evangelische Frauengeschichte(n)

Thema der historischen Führung auf dem Evangelischen Friedhof waren am 19. August 2023 bedeutende weibliche Persönlichkeiten der Evangelischen Gemeinde. Der Weg durch die Jahrhunderte mit dem Archivar des Gemeindeverbandes begann an der Grabplatte der Johanna Herminghausen. Sie wurde am 15. Oktober 1652 als Tochter der wohlhabenden Textilhändlerfamilie Lüps geboren. Ihr Vater war führendes Mitglied der reformierten Gemeinde. Sie hatte den Rheydter Pfarrer Pitten den jüngeren geheiratet, der die Gladbacher Gemeinde mitbetreute und auf einer Kollektenreise in den Niederlanden verstarb. Ihr zweiter Ehemann war der neue Gladbacher Pfarrer Johann Peter Herminghausen, der in der 1684 auf dem Fliescherberg erbauten ersten evangelischen Kirche in der Stadt wirkte. Johanna Herminghausen verstarb kurz nach der Geburt ihres siebten Kindes am 6. März 1690 im Alter von 37 Jahren.

Ein Zeitsprung in das 19. Jahrhundert führte die Besucher zum Grab von Elise Zillessen, die am 22. April 1839 als Tochter des Gladbacher Pfarrers Hermann Otto Zillessen geboren wurde. Pfarrer Zillessen wollte es Frauen ermöglichen, sich aktiv in die Gemeindearbeit einzubringen. Dabei wurde eng mit Fliedners Diakonissenanstalt in Kaiserswerth kooperiert. Ab 1841/42 entstanden mehrere Kleinkinderschulen, die von in Kaiserswerth ausgebildeten Kleinkinderschullehrerinnen geleitet wurden. Mehrere Kaiserswerther Diakonissen waren ab 1855 im Krankenhaus Bethesda tätig. 1862 wurde die erste Gemeindeschwester aus Kaiserswerth eingestellt, der viele weitere nachfolgten. Die unverheiratete Elise Zillessen blieb nach dem Tode ihrer Mutter bei ihrem Vater und unterstützte ihn bei seiner Arbeit. Sie gründete selbst 1860 den „Tabea-Verein“, der für das Krankenhaus Bethesda arbeitete und 1864 den „Missionsverein Haus Zoar“. Sie arbeitete in den Vorständen der Kindergärten und Frauenvereine, in der Leitung des 1874 gegründeten „Kosthaus Zoar für alleinstehende Fabrikarbeiterinnen“ und im überkonfessionellen „Vaterländischen Frauenverein“ mit, der in der Zeit der Kriege gegen Österreich 1866 und Frankreich 1870/71 für die Pflege der Verwundeten gegründet worden war. Elise Zillessen verstarb am 3. März 1900.

Im Juni 1899 war unter Beteiligung des Gladbacher Pfarrers Ludwig Weber in Kassel der „Deutsch-Evangelische Frauenbund gegründet worden. Weber gehörte zu den drei beratenden Mitgliedern des männlichen Beirates. Seine 1850 geborene Ehefrau Charlotte Weber wurde die erste Vorsitzende des am 11. November 1899 gegründeten Gladbacher Ortsverbandes. Während ihr Mann sich auf Reichsebene für den Frauenbund engagierte, arbeitete sie auf der Ebene der rheinischen Provinzialkirche für den Aufbau der neuen Frauenorganisation. Der Frauenbund setzte sich für die Schaffung bezahlter Berufsmöglichkeiten für Frauen aus bürgerlichem Milieu ein. Charlotte Weber gründete in M.Gladbach vor dem Ersten Weltkrieg eine Zentrale für Stellenvermittlung. Die Textilunternehmerin Antonie Boetzelen wurde am 4. September 1862 geboren. Sie gehörte zu den ersten Mitgliedern des Frauenbundes, in dem sie dreißig Jahre lang den Vorsitz führte. Sie gründete 1904 einen Gewerkverein für Heimarbeiterinnen, der Tarifvereinbarungen und gesetzliche Regelungen bei Krankheit und Invalidität einforderte. Im Ersten Weltkrieg und in der Krisenzeit der Weimarer Republik mit der Hyperinflation 1923/24 und der Weltwirtschaftskrise ab 1929 setzte sie sich für in Not geratene Frauen und Familien ein. Sie gehörte sie zu den ersten weiblichen Mitgliedern des Presbyteriums. Von 1919 bis 1929 war sie Mitglied des Stadtrates in M.Gladbach. Den Bau des Erholungsheims für Mütter und Jugendliche Haus Waldquelle in Dalheim unterstützte sie maßgeblich. Sie verstarb am 9. Mai 1954. Eine Straße an der Dahlener Heide wurde nach ihr benannt.

Im gleichen Jahr 1899 war die Evangelische Frauenhilfe gegründet worden, die in den Pfarrbezirken vor allem karitative Arbeit leistete und Besuchsdienste organisierte. 1937 wurde die 1907 in Wesel geborene Vikarin Elfriede Dümmen mit der Arbeit für die Frauenhilfe beauftragt. Sie war zum Zölibat und zu Schweigen und Unterordnung gegenüber den männlichen Amtsinhabern verpflichtet. Da sie der Bekennenden Kirche angehörte, behinderten die Nationalsozialisten sie in ihrer Arbeit. Nach dem Krieg wurde sie mit dem Schuldienst an den Höheren Mädchenschulen der Stadt beauftragt. Als Kreisvorsitzende der Frauenhilfe war sie 1952 Initiatorin des ersten Weltgebetstages der Frauen in der Stadt. Ab 1963 durfte sie den Titel einer Pastorin tragen. Erst ab 1975 durften Frauen die Amtsbezeichnung Pfarrerin führen. Elfriede Dümmen starb am 27. Mai 1991.

Eine Station auf der Reise durch die Zeit war das Grab der Kindergärtnerin Rosa Frank. Sie wurde am 20. April 1894 in M.Gladbach geboren. Nach ihrer Ausbildung in Kaiserswerth leitete sie vom 1. Januar 1918 bis zum 31. März 1959 den Kindergarten im Arbeiterstadtteil Westend, der 1880 errichtet worden war. Sie verstarb am 13. September 1968. Das Gemeindehaus im Westend wurde nach ihr benannt. In die jüngere Vergangenheit gehört die Erinnerung an die am 9. April 1926 geborene Pädagogin Helga Stöver, die sich nach den Erfahrungen mit den Verbrechen des Nationalsozialismus für die Integration Behinderter in die Gesellschaft, für Flüchtlinge und Asylsuchende und für die Verständigung zwischen Christen und Menschen jüdischer Abstammung eingesetzt hat. Sie verstarb am 7. Oktober 1993 kurz bevor die Stadt sie mit der Ehrennadel auszeichnen wollte. Ein Park in Lürrip mit einem Gedenkstein und ein Haus in der Ludwig-Weber-Seniorenresidenz sind nach ihr benannt worden.

Lothar Beckers

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