Ernst Brasse – Stadthistoriker und Pädagoge

Foto: Lothar Beckers

Am Friedhofseingang neben dem Otto-Zillessen-Haus befindet sich in der ersten Grabreihe vorne die letzte Ruhestätte des Mönchengladbacher Stadthistorikers und Gymnasialprofessors Dr. Ernst Brasse und seiner Familienangehörigen.

Ernst Brasse wurde am 30. September 1865 als Sohn eines königlichem Postkommissars in Potsdam geboren. Sein Vater verstarb früh und seine Mutter zog mit ihren drei Söhnen Karl, Eduard und Ernst nach Stettin und zuletzt nach Berlin. Im März 1886 absolvierte Ernst seine Reifeprüfung am Berliner Leibniz-Gymnasium. Bescheinigt wurden ihm im Reifezeugnis „Pietät und Bescheidenheit“, „ernstlicher Fleiß“ und „nicht unbeträchtliche Leistungsfähigkeit“. Er entschloss sich zum Studium der Philologie in den Fächern Geschichte und Geografie mit den Nebenfächern Germanistik und Latein. Seine Studienjahre von 1886 bis 1894 führten ihn nach Berlin, Freiburg i. B. und zuletzt zur Universität Halle-Wittenberg. Eine Vorlesung Professor Julius Weizsäckers in Berlin im Sommersemester 1889 „zur Reformationsgeschichte von 1517-1648“ und ein daran anschließender Aufsatz Weizsäckers regten Brasse zu seiner Doktorarbeit mit dem Titel „Die Geschichte des Speierer Nationalkonzils vom Jahre 1524“ an. Brasse geht in seiner Studie auf den Beschluss des Nürnberger Reichstages vom April 1524 ein, der eine allgemeine Reichsversammlung „auf Martini desselben Jahres“ anstrebte. Die ausgebrochenen Glaubenskonflikte wollte man auf nationaler Ebene friedlich lösen. Der neue Papst Clemens VII. Medici lehnte eine nationale Sonderlösung ab. Kaiser Karl V. verbot im Juli 1524 die Durchführung des geplanten Nationalkonzils per Mandat aus Spanien. Am 26.  November 1890 wurde Ernst Brasse in Halle-Wittenberg das Recht zuerkannt, den Titel eines Doktors der Philosophie zu führen.

Im Januar 1894 legte Brasse in Halle sein Staatsexamen ab. Seine praktische Lehrerausbildung erhielt er bis 1895 in Koblenz. Anschließend absolvierte er sein Probejahr in Bad Kreuznach und nach einer vertretungsweisen Versetzung ab November 1895 am Stiftischen-Humanistischen Gymnasium in M.Gladbach. 1898 erfolgte seine Ernennung zum Oberlehrer. Schnell wurde der gebürtige Preuße Brasse in der rheinischen Textilmetropole heimisch. 1899 beantragte er die Aufnahme als Mitglied im „Wissenschaftlichen Verein“, in dem er von 1905 bis 1910 im Vorstand das Amt des 1. Schriftführers ausübte. 1900 schloss Ernst Brasse seine Ehe mit Emmy Sell, aus der die beiden Kinder Ilse (geb. 1901) und Kurt (geb. 1902) hervorgingen. 1904 gründete Brasse mit Wanderfreunden einen Wanderbund M.Gladbach-Rheydt. 1906 erschien der „Kleine Brasse“, ein Wanderführer, der zahlreiche Neuauflagen erlebte. 1912 wurde Brasse Vorsitzender der neu gegründeten Ortsgruppe des Eifelvereins.  

In seiner Schule erfreute sich Brasse wegen seiner wissenschaftlich kompetenten und pädagogisch einfühlsamen Art großer Beliebtheit. So erinnerte sich viele Jahrzehnte später sein ehemaliger Schüler Hans Jonas an einen Dialog mit seinem Lehrer Ernst Brasse in der Untersekunda während des Ersten Weltkriegs. Zum Unterrichtsbeginn sprach Brasse mit seinen Schülern über die neuesten Kriegsmeldungen. Brasse, der laut Jonas „ein netter Mann, aber Patriot, ein Alldeutscher“ war, kommentierte die Nachricht von der Versenkung eines englischen Truppentransporters mit den Worten: „Ja, sehr gute Nachricht. Hoffentlich sind dabei recht viele ertrunken.“ Jonas zeigte auf und fragte zurück: „Darf man das denn eigentlich wünschen?“ Brasse reagierte verdutzt und fragte: „Ach so, du meinst, das wäre nicht christlich?“ Der Schüler jüdischen Glaubens Hans Jonas erwiderte: „Ich meine nicht menschlich.“ Brasse errötete und sah sich veranlasst, seine Äußerung als hart und grausam zu reflektieren und dem Schüler Jonas im Grundsatz Recht zu geben, dass Kriege einen schlimmen Verlust der Menschlichkeit verursachen.

Durch seine stadt- und heimatgeschichtlichen Arbeiten ist Brasse bis heute in Erinnerung geblieben. 1903 verfasste er die Festschrift zur Hundertjahrfeier der „Gesellschaft Erholung“. 1907 folgte eine Arbeit über die Familiennamen in M.Gladbach und Umgebung bis zum Ende des 16. Jahrhunderts. Im Auftrag der Stadt entstand seine Stadtgeschichte in vier Bänden. Der Band I und das Urkundenbuch über die Zeit des Mittelalters erschienen 1914. Der Band II über die Neuzeit wurde kriegsbedingt erst 1922 gedruckt. Der 1919 fertiggestellte Urkundenband II erschien erst 1926 nach seinem Tode. In historischen Zeitschriften zwischen 1912 und 1922 veröffentlichte Brasse weitere Aufsätze zur Gladbacher Stadtgeschichte. 1915 wurde er in Anerkennung seiner Verdienste zum Mitglied der Gesellschaft für rheinische Geschichtskunde gewählt. Eine letzte Arbeit über Umfang und Grenzen des Mülgaus konnte er nicht mehr abschließen. Am 31. August 1923 verstarb der verdienstvolle Gymnasialprofessor Dr. Ernst Brasse im Alter von 57 Jahren. 1930 wurde eine Straße in Hardterbroich nach Ernst Brasse benannt. Seine letzte Ruhestätte auf dem Evangelischen Friedhof wurde von der Stadt Mönchengladbach lange Jahre als Ehrengrab gepflegt.

Lothar Beckers

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