Antonie Boetzelen – die erste evangelische Stadträtin

Antonie Boetzelen (sitzend) mit Familienangehörigen. Foto: Stadtarchiv Mönchengladbach

Unter den 48 neu gewählten Stadträten, die am 17. Dezember 1919 in das Mönchengladbacher Rathaus einzogen, befanden sich zum ersten Male auch Frauen. Die Deutsche Volkspartei (DVP) hatte für die Kommunalwahlen am 30. November 1919 mit der Textilunternehmerin Antonie Boetzelen eine Frau aufgestellt, die sich in der Stadt und in der Evangelischen Gemeinde M.Gladbach als engagierte und streitbare Kämpferin für Fraueninteressen einen Namen gemacht hatte. Zehn Jahre lang gehörte sie dem Stadtparlament bis zur Zusammenlegung der beiden Städte M.Gladbach und Rheydt 1929 an.

Frau Boetzelen wurde am 4. September 1862 in Düsseldorf als Antonie Schneider geboren. Ihr Ehemann Heinrich Boetzelen hatte ab 1896 mehrere Textilbetriebe in M.-Gladbach gegründet, die er ab 1907 auf der Künkelstraße 125 konzentrierte. Nach dem Tode ihres Ehemannes im Jahre 1912 führte Antonie Boetzelen die Firma zusammen mit Rudolph Boetzelen weiter.

 In der Evangelischen Gemeinde M.Gladbach leitete Frau Boetzelen drei Jahrzehnte lang die Ortsgruppe des „Deutsch-Evangelischen Frauenbunds“ (DEF), der 1899 vom Gladbacher Pfarrer Ludwig Weber gegründet worden war. Die Frauen des DEF verstanden sich als Teil der bürgerlichen Frauenbewegung und wollten die Frauenfrage im Geiste des Evangeliums lösen. Sie traten für eine Monarchie ein, die sozialen Reformen gegenüber aufgeschlossen war. Vor allem Frauen, die eine berufliche Perspektive suchten, waren ihre Zielgruppe. 1908 forderte der DEF in einer Eingabe an die „hochwürdige Synode“, die Mitarbeit von Frauen in der Synode zu beschließen. Die Frauen des DEF traten für das kirchliche und kommunale Frauenwahlrecht ein. Ein allgemeines politisches Frauenwahlrecht lehnte der DEF mehrheitlich ab und trat deshalb im März 1918 aus dem „Bund Deutscher Frauenvereine“ (BDF) aus. Die konservativ und national eingestellten Frauen im Zentralvorstand des DEF befürchteten bei Landtags- und Reichstagswahlen eine Verschiebung der Mehrheiten zugunsten der Linksparteien.

Im Ersten Weltkrieg verstanden sich die Frauen des DEF als Teil einer „Inneren Front“, die zum Sieg der kämpfenden Armeen ihren Beitrag leisten wollte. Sie betreuten die in der Stadt errichteten Lazarette, pflegten die Verwundeten und vermittelten über eine Zentralstelle Berufsarbeiterinnen in die offenen Arbeitsplätze der an den Fronten kämpfenden Männer.  Der DEF unterstützte die in Not geratenen Kriegerfamilien und Hinterbliebenen der Gefallenen. Im 1866 von der preußischen Königin Augusta gegründeten und mitgliederstarken „Vaterländischen Frauenverein vom Roten Kreuz“, der im Krieg, bei Seuchen und Katastrophen Hilfe leistete, war Frau Boetzelen stellvertretende Vorsitzende. Als Gründerin eines „Gewerkvereins für Heimarbeiterinnen“ setzte sie sich seit 1904 für gesetzliche Schutzbestimmungen für die zu Hause berufstätigen Frauen und Mütter ein. Die Heimarbeiterinnen wurden schlecht bezahlt, waren bei Krankheit und Invalidität rechtlich nicht abgesichert, hatten lange Arbeitszeiten und waren zu Hause einer Mehrfachbelastung ausgesetzt. 1922 beschloss der Reichstag ein Versicherungsgesetz für Heimarbeiterinnen. Als während der Inflationszeit 1924 die Rentnerinnen, die keinen Beruf ausgeübt hatten, sondern von ihrem ererbten Vermögen lebten, durch die totale Geldentwertung in Not gerieten, versuchte der DEF zu helfen. In der Weltwirtschaftskrise 1929 beteiligten sich die Frauen des DEF an einer Gladbach-Rheydter Notgemeinschaft zur Kleidersammlung und Kinderspeisung für die Familien der Arbeitslosen und Verarmten.

In der Evangelischen Gemeinde M.Gladbach war Frau Boetzelen Gemeindeverordnete in der „Größeren Gemeindevertretung“, die das Presbyterium in seiner Arbeit unterstützte. Sie gehörte zum Vorstand des „Gustav-Adolf-Frauenvereins“, der seit 1877 in der Gemeinde bestand und Hilfen für die evangelischen Diasporagemeinden gab. Im Vorstand des „Haus Zoar“ wirkte sie ebenso mit wie im „Zweckverband der Evangelischen Kirchengemeinden M.Gladbach, Rheydt und Odenkirchen“.

Ein Projekt, das der DEF und die „Frauenhilfe“ gemeinsam förderten, war der Bau eines Erholungsheimes für Mütter und Jugendliche. Das bis heute bestehende „Haus Waldquelle“ in Dalheim wurde vom „Evangelischen Jugend- und Wohlfahrtsamt“ Ende der 1920er-Jahre errichtet. 1932 wurde vom DEF-Ortsverband ein freiwilliger Arbeitsdienst für Mädchen im „Haus Waldquelle“ eingerichtet, in dem für jeweils 20 Wochen Unterricht in Haushaltsführung erteilt wurde. Für Mütter führte der DEF Winterkuren in Dalheim durch. 1933 musste der DEF auf Druck der NSDAP seine gesellschaftspolitische Frauenarbeit einstellen. Nach ihrem Rücktritt blieb Frau Boetzelen dem Frauenbund bis zu ihrem Tode als Ehrenvorsitzende verbunden.

 Die verdienstvolle protestantische Unternehmerin, Kommunalpolitikerin und Frauenrechtlerin Antonie Boetzelen verstarb am 9. Mai 1954 im Alter von 91 Jahren und wurde auf dem Evangelischen Friedhof am Wasserturm bestattet. Ende Juni 2011 beschloss der Rat der Stadt Mönchengladbach, den „Antonie-Boetzelen-Ring“ an der Dahlener Heide nach ihr zu benennen.

Lothar Beckers

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